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nach meinen bisherigen Tutorien in Lineare Algebra, Diskrete Mathematik und Theoretischer Informatik, darf ich in diesem Semester Studenten durch ihre Analysis-Prüfungen helfen. Gestern habe ich eine Frage zur folgenden Aufgabe bekommen:
"Man finde ein Bildungsgesetz für die folgende Reihe und prüfe sie auf Konvergenz: \(1 - 3 + 9/2 - 27/6 + 81/24 - ...\)"
Man sieht meiner Ansicht nach relativ schnell, dass das dahinterstehende Bildungsgesetz $$\sum_{k=0}^{\infty}{(-1)^k \cdot \left(\dfrac{3^k}{k!}\right)}$$ lautet. Die Studies kamen da leider nicht drauf und wollten ein paar Tipps, wie man Bildungsgesetze (am besten mit einem Rezept) finden kann. Ich habe der Gruppe folgende Tipps an die Hand gegeben:
1.) Wenn man ein alternierendes Vorzeichen sieht, liegt der Schluss nahe, dass \((-1)^k\) vorkommt.2.) Häufig tauchen bei diesem Aufgabentyp Kombinationen aus \(a^k\) und \(k!\) auf.3.) Man muss ein wenig mit den Zahlen jonglieren.4.) Durch viel Übung bekommt man ein Gespür für Bildungsgesetze.5.) Bei Reihen, in denen die Glieder z.B. durch \(\dfrac{2^2}{2!} + \dfrac{2^3}{3!} + \dfrac{2^4}{4!} + ...\) dargestellt werden, kann man die konstanten von den nicht konstanten Parametern trennen und untersuchen, wie der Verlauf der nicht konstanten Parameter aussieht (hier wäre z.B. die Basis 2 konstant, Exponent und Divisor veränderlich).
Jetzt ist meine Frage, ob ihr Ideen habt, was man noch als Tipp geben könnte.
Ich persönlich sehe diesen Aufgabentyp in Prüfungen eher kritisch, denn ich halte folgende Argumentation ebenfalls für legitim: die Reihenglieder liegen alle auf einem Interpolationspolynom. Im obigen Beispiel ergibt das (z.B. mit "dividierten Differenzen" oder Neville-Aitken) das Polynom $$\sum_{k=0}^{\infty}{\dfrac{491}{192}\cdot k^4-\dfrac{1921}{96}\cdot k^3+\dfrac{9193}{192}\cdot k^2-\dfrac{3305}{96}\cdot k+1}$$ Nun vereinfacht sich aber die Konvergenzuntersuchung erheblich und man hätte einen Algorithmus, mit dem man jede dieser so formulierten Aufgabenstellungen zuverlässig lösen kann. Wenn der Dozent nicht explizit hinschreibt "eine Lösung durch Interpolationspolynome ist nicht zulässig" spricht meiner Ansicht nach nichts gegen diese Argumentation, oder was meint ihr? Auch wenn der Dozent die "offensichtlichste" Lösung einfordert, müsste er zunächst einmal definieren, was "offensichtlichst" heißt und ob die Studenten-Antworten statistisch valide erhoben wurden, um eine Argumentation über die Häufigkeitsverteilung der Antworten zu rechtfertigen.
Ich freue mich auf eure Gedanken zu diesem Thema! 
GrußAndré
von

3 Antworten

+2 Daumen
 
Beste Antwort

Hallo savest8 (André),

gerade Studenten sollen doch wissen, dass jede endliche Reihe ohne Angabe von Randbedingungen durch unendlich viele Algorithmen "hingebastelt" werden können. (das Summenzeichen ist ja hier irrelevant)

(unter http://www.gerdlamprecht.de/Zahlenfolgen.html zig Beispiele dafür)

Es kann doch nicht sein, dass die intelligenteren Studenten, die mehr Algorithmen (Funktionen usw.) kennen als andere, dann bestraft werden, nur weil "ihre Gedanken" etwas komplexer  waren als bei anderen... 

OK, Nachkommastellen-Algorithmen oder Pseudo-Zufallsgenerator-Algorithmen kann man wohl ausschließen.

( Im Gegenteil, ich würde Studenten Extra-Punkte vergeben, wenn sie neben einer primitiven noch eine andere Lösung finden... )

Die Angabe von Randbedingungen halte ich als ganz wichtige Angabe einer "sauberen Aufgabenstellung"!

Beispiele:

- Angabe, ob Brüche gekürzt sind (wurde ja schon genannt)

- Angabe, ob Interpolationspolynom (will man dies nicht explizit nennen, kann dies auch indirekt erfolgen, wenn durch Angabe der maximalen (Ganz-)Zahl im Algorithmus & genügen viele Glieder ein Polynom ausgeschlossen wird; Beispiel oben taucht ja die Zahl 9193 auf -> die Randbedingung "im Algorithmus keine Ganzzahlen über 99" oder Maximalzahl von Operatoren & Funktionen... Beispiel: (k(k(k(491*k-3842)+9193)-6610)+192)/192 )

- Angabe, ob höhere Funktionen beteiligt, sonst kommt noch so etwas:

(k(k(7k(271k-2266)+35507)-8102)+960)*Bernoulli(2k+2)/160

https://www.wolframalpha.com/input/?i=table+(k(k(7k(271k-2266)%2B35507)-8102)%2B960)*bernoulli(2k%2B2)%2F160,k%3D0...4

Die Angabe der maximalen Operatoren/Funktionen oder Klammern ist auch wichtig, um Lösungen wie

(2k(k((k-4)k+8)-2)+3)/3*(-1)^k/k!

{ LINK: https://www.wolframalpha.com/input/?i=table++(2k(k((k-4)k%2B8)-2)%2B3)%2F3*(-1)%5Ek%2Fk!,k%3D0...4

} auszuschließen.

Sonderrolle spielen Primzahlen. Manchmal bereits in der Grundschule erwartet...

einige Programme haben sie integriert {WolframAlpha kennt Prime(x) }

... eine exakte Formel wie http://www.lamprechts.de/gerd/php/Formeln/Formel-7.png

wird nie in Aufgaben abgefragt werden...

Was generell viele falsche Gedankengänge vertreiben hilft, sind mehr als 5 Glieder in der Aufgabenstellung.

wenn da noch -243/120 steht, sieht man schneller, dass:

- Vorzeichen immer wechselt

- hier nicht gekürzt wurde

- 120 bei der Fakultät auftaucht

- das Interpolationspolynom kaum noch mit üblichen Faktoren dargestellt werden kann (Taschenrechnergenauigkeit reicht nicht mehr)

von 5,7 k

Lieber hyperG,

vielen Dank für Deine Antwort und Gedanken!

"gerade Studenten sollen doch wissen, dass jede endliche Reihe ohne Angabe von Randbedingungen durch unendlich viele Algorithmen "hingebastelt" werden können"

Das tun sie aber leider in der Regel nicht. Ich habe damals in Analysis vor der Prüfung mit unserem Dozenten über diesen Aufgabentyp diskutiert und (damals vielleicht noch nicht so mathematisch präzise wie eventuell heute) für die Existenz unendlich vieler Möglichkeiten zu plädieren versucht. Aber mir wurde mehrfach entgegnet, dass die Aufgabenstellung dann so formuliert wäre, dass solche Lösungen nicht zulässig sind. Wenn die Randbedingungen ausreichend genau formuliert wurden, bin ich damit d'accord. Andernfalls gebe ich mich nicht damit zufrieden, auch wenn mir klar ist, was der Dozent will. So, wie die Aufgabenstellung von vorgestern formuliert wurde, wäre mir das zu ungenau gewesen.

"Es kann doch nicht sein, dass die intelligenteren Studenten, die mehr Algorithmen (Funktionen usw.) kennen als andere, dann bestraft werden, nur weil "ihre Gedanken" etwas komplexer waren als bei anderen..."

Das sehe ich genauso. Ich bin aber leider nicht der Dozent.

Wie gesagt, ich werde nächste Woche das Thema vermutlich ansprechen.

und nochmal

André

+2 Daumen

Es geht ja meist immer um recht einfache Bildungsgesetzte, Naturlich kann man eine Folge von n Werten auf unendlich viele verschiedene Weisen fortführen.

Zu erkennen ist ja eindeutig das 27/6 nicht gekürzt dort steht.

Also schaut man sich mal bei den Brüchen die Zähler an

9, 27, 81, ...

Man sieht sehr leicht das hier eine Multiplikation mit 3 Vorliegt.

Schaut man sich die Nenner an

2, 6, 24

könnte man eine Fakultät vermuten.

3 werden also vermutlich 3/1 sein.

Also eine Hilfe ist immer Zähler und Nenner getrennt ansehen und schauen ob es da jeweils eine Folge für Zähler und Nenner getrennt gibt.

Wir hatten es sogar noch das da mal gekürzte Brüche auftauchen. Das macht es etwas schwierig, es gleich zu erkennen. Dann kann man nur schauen dass man die Brüche eventuell geschickt erweitert.

Ansonsten sind deine Tipps gerade zum alternierenden Vorzeichen doch goldrichtig.

von 477 k 🚀

Und wie kommt man so schnell auf so ein Interpolationspolynom ? Taschenrechner erlaubt ?

Wir hatten in der Analysis Klausur keinen Taschenrechner zur Verfügung.

Lieber Mathecoach,

vielen Dank für Deine Antwort!

Stimmt, ich hätte noch darauf hinweisen können, dass der Bruch nicht gekürzt ist. Ich habe nach der Durchsprache dieser Aufgabe noch ein paar Beispiele erklärt, in denen der Bruch mal gekürzt war und mal nicht. Die liefen eher mittelprächtig, da mit jeder strukturellen Abweichung (z.B. Brüche als Dezimalzahl schreiben) das Problem von vorne begann.

Klar, man hat dann 2 - 3 Studenten, die das schnell adaptieren können, aber der Rest soll es ja auch verstehen. Ich fand es leider persönlich (d.h. im Hinblick auf meine didaktischen Fähigkeiten) unbefriedigend, dass es nicht jeder verstanden hat ... durch meine Erfahrung weiß ich aber auch, dass das "normal" ist.

In ihrer (Maschinenbau/E-Technik/...) Prüfung ist ein Taschenrechner erlaubt. Wir (Informatik/Mathematik) mussten aber auch ohne Taschenrechner schreiben ... durften aber einen beidseitig handschriftlich beschriebenen Formelzettel mitnehmen, was sie jetzt nicht dürfen.

Das Interpolationspolynom würde ich auch nur auszurechnen empfehlen, wenn man einen Taschenrechner benutzen darf.

Ansonsten hoffe ich einfach, dass sie es bis zur Prüfung beherrschen. Vielleicht bringe ich das Thema einfach nächste Woche bei ihrem Dozenten zur Sprache. Es wäre in meinen Augen ein vernünftiger Kompromiss, wenn er "Bildungsgesetz" und "Konvergenzuntersuchung" voneinander trennt, d.h. nicht die gebildete Reihe auf Konvergenz untersuchen lässt, sondern dafür eine andere vorgibt.

Also nochmals vielen lieben Dank und behalte Deine gute Arbeit hier bei Mathelounge weiterhin bei!

André

Lieber Mathecoach,

falls es Dich interessiert: ich hatte mit dem Dozenten gesprochen und er hat mir zugestimmt. In der Prüfung kam laut meinen Tutanden wohl kein Reihenbildungsgesetz dran, wohl aber der (aus meiner Sicht) relevante Teil dieses Aufgabentypus (die Konvergenzuntersuchung). Ein anderer Prof. meinte, mit dem ich gerne über solche Sachen philosophiere, meinte, dass er bei solchen Bildungsgesetzen eher schlecht ist. Zitat: "Beispielsweise würde ich die Reihe \(18, 20, 22, ...\) fortsetzen mit \(0, 24, 27...\)". Sehr kreativ:-)

André

+2 Daumen

was meiner Meinung nach prinzipiell gegen die Interpolationsmethode  spricht:

diese Methoden müssten ja auch in der Vorlesung behandelt worden sein. Ist dies nicht der Fall würde ich eine solche Lösungsmethode in der Übung/Klausur nicht in Erwägung ziehen. Dauert vermutlich auch per Hand zu lange. Hauptziel der Aufgabe hier scheint ja auf Konvergenz zu überprüfen. Wäre es ein Polynom so ergibt sich ja  keine Nullfolge und die Konvergenz wäre trivial ;).

Ansonsten finde ich deine Tipps hilfreich, letztendlich läuft es wohl auf Erfahrung heraus, wie schnell man es sieht.

von 37 k

Hallos jc2144,

"Wäre es ein Polynom so ergibt sich ja keine Nullfolge und die Konvergenz wäre trivial ;)" 

Darauf zielt dieser Ansatz letztendlich auch ab;-) Das, was man an Rechenzeit in die Entwicklung des Interpolationspolynoms steckt, spart man an anderer Stelle bei der Konvergenzuntersuchung. Für diejenigen, die die Prüfung nur bestehen wollen und eher weniger mathe-affin sind, könnte das ein Ausweg sein.

Ich gebe Dir aber Recht: wenn in der Vorlesung Interpolationspolynome nicht behandelt wurden, dann sollten sie auch nicht genutzt werden ... es sei denn, der Student hat die Theorie dahinter verstanden (und der Dozent verlangt nicht nur "Lösungswege aus der Vorlesung").

Ich käme mir als Tutor  wie ein Abiturient vor, der einem Neuntklässler vermitteln will, dass er zur Bestimmung des Scheitelpunktes doch auch einfach die Ableitung verwenden könnte. Solange der Nachhilfeschüler die Theorie dahinter nicht verstanden hat, wird er dadurch keinen wirklichen Verständnisgewinn erzielen.

Schöne Grüße

André

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