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In einem Schulbuch für Mathematik kann man diese Aufgabe finden:
Schneide ein Dreieck aus Papier aus, reiße zwei Ecken ab und füge sie an die dritte Ecke an. Was kannst du über die Summe der Innenwinkel eines Dreiecks sagen?
Dazu wurde diese Abbildung geliefert:
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Der Kommentar eines Mathematik-Didaktikers zu dieser Aufgabe sah in ihr einen Beweis der Behauptung: ‚Der vorsätzliche Verzicht auf logische Argumentation und Mitteilung von Sätzen in Form von Rezepten erweist sich als durchgängiges Prinzip in mathematischen Lehrbüchern.‘


Sieht man davon ab, dass eine Schwalbe noch keinen Sommer macht, ist der Vorwurf des Didaktikers berechtigt, weil das Schulbuch unmittelbar unterhalb dieser Aufgabe direkt zu Übungsaufgaben übergeht.
Was fehlt hier? Die Aufgabe ist geeignet, den Winkelsummensatz für Dreiecke selbständig zu entdecken und als Hypothese zu formulieren. Ein aufrichtiger Mathematikunterricht weist allerdings darauf hin, dass jede Hypothese eines Beweises bedarf, um als wahre Aussage zu gelten. Der noch fehlende Beweis greift auf Wechselwinkel zurück, wobei der Wechselwinkelsatz seinerseits nur dann wahr ist, wenn er zuvor bewiesen wurde. Das führt dann zu einer Aussage über Kongruenzabbildungen. Und so weiter und so weiter. Am Schluss dieser Beweiskette steht eine Aussage, die man in der reinen Lehre der Mathematik ‚Axiom‘ nennt und in der Schule, die keine axiomatische Mathematik betreibt, wohl ‚Evidenz‘ genannt werden kann.


Nun wird mancher einwenden, dass bereits die allererste Hypothese nach dem Abreißen und Anfügen der Ecken evident erschienen sei. Wenn der oben zitierte Didaktiker hier sein Urteil bestätigt sieht, dass auf logische Argumentation verzichtet wurde, hat er nur dann recht, wenn der real praktizierte Unterricht diese Lücke nicht schließt. Dafür ist aber der oder die Unterrichtende verantwortlich und weniger das Lehrbuch. Das Lehrbuch hat einen Anreiz zu einer selbständigen mathematischen Entdeckung geliefert – und das ist bereits ein wesentlicher Schritt auf dem Wege zum Erlebnis mathematischen Wissensgewinns.

geschlossen: Wissensartikel
von Roland
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Mittlerweile ist also schon der Bleistifft, der nacheinander um jeden der drei Innenwinkel gedreht wird, zu kompliziert für die Kinder. Sie erinnern sich wahrscheinlich am Ende nicht mehr daran, wie der Bleistift ursprünglich ausgerichtet war.

..., wobei der Wechselwinkelsatz seinerseits nur dann wahr ist, wenn er zuvor bewiesen wurde.

Der Satz ist auch wahr, wenn der Beweis nicht im Unterricht nachvollzogen wird.

@oswald: Das Drehen eines Bleistifts liefert zwar eine Hypothese, aber welche Beweisidee steckt darin?

@Monty: Ein Satz ist in der Schule wahr, wenn sein Wahrheitsgehalt evident ist und in der Uni wahr, wenn er bewiesen wurde.

1 Antwort

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Die Winkelsumme in einem Dreieck in der Ebene beträgt 180° wie eine Gerade.


Mein Ansatz wäre es, Schülern die Äquivalenzrelation bei ähnlichen Dreiecken zu zeigen.

Gleiche Winkel <=> gleiche Streckenverhältnisse.

Daraus leiten sich sofort hübsche Sätze wie

Satz des Thales, Kathetensatz, Höhensatz, Satz des Pythagoras usw. ab.

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Ähnliche Dreiecke werden im 9. Schuljahr behandelt, vermutlich weil man sie für Trigonometrie benötigt.

Winkelsumme im Dreieck wird im 7. Schuljahr behandelt.

Warten wir mit der Winkelsumme bis zum 9. Schuljahr oder ziehen wir ähnliche Dreiecke ins 7. Schuljahr vor?

Ähnliche Dreiecke sind die Basis für sehr viel mehr.

Der Strahlensatz basiert darauf, ebenso wie der Umfangswinkelsatz und der Kreiswinkelsatz, Der Satz des Thales ist nur ein Spezialfall davon.


Die spätere Einführung hat didaktische Gründe.

Ähnliche Dreiecke beantworten zu viele Fragen auf einmal,

das wird nicht gewollt.

Die Schüler sollen zunächst kleinere Schritte machen und verstehen.

Persönlich halte ich das für einen großen Fehler und eine verpasste Chance.

Den Satz den Pythagoras hab ich in der 6. Klasse durch den Kathetensatz und den durch ähnliche Dreiecke hergeleitet.

Damals gab es noch Dias und mir war klar, dass Ähnlichkeit von Winkeln gleich bedeutend ist mit gleich bleibenden Streckenverhältnissen.

Es geht beim Lehren und Lernen nach meinem Dafürhalten nicht darum, es den Lehrern einfacher zu machen. Begabten Geistern soll so früh wie möglich die Chance gegeben werden, selbst die Welt zu entdecken. Die Wurzeln sollen die Schüler begreifen und verinnerlichen. Wer nicht beweisen kann, dass Pythagoras nur gilt, weil Winkelgleichheit und Seitenverhältnisse zusammen hängen, der hat die tiefer sitzende Wahrheit nie verinnerlicht. Bei mir kommt fundamentales Wissen vor didaktischen Zwängen - sry

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