1. Einführung
Koalitionsspiele werden üblicherweise nach Wahlen oder in Abstimmungssituationen aller Art gespielt. Die Spieltheorie liefert uns Antworten auf die Koalitionsfrage (also welche Fraktionen/Parteien sich zwecks Erreichen eines Quorums zusammenschließen). Eine Möglichkeit der mathematischen Beschreibung von Macht ist durch den Banzhaf'schen Machtindex möglich, um den es in diesem Artikel geht.
2. Was bedeutet Macht?
Definition 2.1 Macht
Unter Macht verstehen wir den Einfluss auf das Ergebnis von Abstimmungen. Diese Vorstellung von Macht bezeichnen wir auch als Abstimmungsmacht.
- Mehr Stimmen bedeuten mehr Abstimmungsmacht.
- Erhält man nach einer Wahl mehr Stimmen als man vorher hatte, so steigt die Macht. Bleibt die Stimmenanzahl vor und nach der Wahl gleich, ändert sich die Abstimmungsmacht nicht. Ansonsten sinkt die Abstimmungsmacht.
- Mitglieder mi einer Fraktion F können insgesamt nicht mehr Abstimmungsmacht besitzen als die Fraktion selbst, d.h. die Summe aller Abstimmungsmächte aller mi∈F entspricht (exakt) der Abstimmungsmacht von F.
- Beteiligen sich weitere Spieler und Fraktionen an dem Abstimmungsspiel, so sinkt die Macht im Allgemeinen.
- Feinden sich die Fraktionen F1 und F2 derart an, dass sie nicht bereit sind eine Koalition K={F1,F2} einzugehen, sinkt die Abstimmungsmacht von F1 und F2.
3. Fraktionen, Koalitionen, QuorumUm zu verstehen, wie Koalitionsbildung von Fraktionen, Stimmen und Quoren (Plural von Quorum) zusammenhängen, müssen wir diese Begriffe zunächst definieren:
Definition 3.1 Fraktion
Eine Fraktion F ist eine Einheit, die in einer Abstimmung Stimmen abgibt. Eine Fraktion besteht aus Mitgliedern m1,m2,...,mn. Ist F die Menge aller Fraktionen, dann ordnet s : F→N einer Fraktion F∈F eine Stimmzahl s∈N zu.
Definition 3.2 Stimme
Eine Stimme S∈N ist eine Einheit, die von Mitgliedern einer Fraktion eingesetzt wird. Eine Fraktion F besitzt genau s(F) Stimmen. Die Anzahl der Stimmen entscheidet darüber, ob ein Quorum erreicht wird. Jedes Mitglied mi∈F besitzt genau eine Stimme. Die Anzahl der Stimmen einer Fraktion ergibt sich durch die Anzahl der Stimmen ihrer Mitglieder. Eine Fraktion mit den Mitgliedern m1,m2,...,mn hat also n mal1+1+...+1=n Stimmen.
Wir nehmen für unsere Überlegungen an, dass in einer Abstimmung alle Mitglieder einer Fraktion einstimmig entscheiden.
Definition 3.3 Quorum
Ein Quorum Q ist die notwendige Anzahl an Stimmen, die erreicht sein muss, damit eine Abstimmung Gültigkeit erlangt. Wir unterscheiden (wie in der Politik) Quoren, für die eine einfache Mehrheit (also >50%) der Stimmen genügt und welchen, bei denen mindestens 32 der Stimmen benötigt werden.
Definition 3.4 Koalition
Gegeben seien n Fraktionen F1,F2,...,Fn mit den Stimmenzahlen s(F1)=s1,s(F2)=s2,...,s(Fn)=sn. Eine Koalition K ist eine Teilmenge aller Fraktionen: K⊆{F1,F2,...,Fn}. Die Anzahl der Stimmen von K ergibt sich durch die Summe der Stimmen aller an K beteiligten Fraktionen, d.h. die Anzahl der Stimmen der Koalition K={F1,F3,F5} (lies: „Koalition der Fraktionen F1,F3 und F5“) ist s1+s3+s5.
Ist s=s1+s2+...+sn die Gesamtzahl aller Stimmen bei einer Abstimmung, so ist das Quorum erreicht (und der Beschluss durchgesetzt), wenn gilt:
- Einfache Mehrheit: i∈I∑si>Q>0.50.5s
- 32 Mehrheit: i∈I∑si≥Q≥3232s
Dabei ist I⊆{1,2,...,n} eine Teilmenge aller möglichen Indizes für die Stimmen. Die Kombination der Indizes entspricht den Koalitionsbildungsmöglichkeiten von F1,F2,...,Fn.
Definition 3.5 Gewinnende und verlierende Koalition
Gegeben seien die Fraktionen F1,F2,...,Fn mit den zugehörigen Stimmzahlen s(F1)=s1,s(F2)=s2,...,s(Fn)=sn und ein Quorum Q. Wir nennen eine Koalition K⊆{F1,F2,...,Fn} gewinnend, wenn gilt: Fi∈K∑s(Fi)≥Q Ansonsten heißt K verlierend.
4. Die Abstimmung
Wir werden uns nun in einer fiktiven Abstimmungssituation dem Begriff der Abstimmungsmacht nähern. Dazu seien in einem Parlament drei Fraktionen F1,F2 und F3 vertreten. F1 hat s(F1)=50, F2 hat s(F2)=1 und F3 hat s(F3)=49 Stimmen. Das Quorum Q betrage 51, d.h. Q=Q>0.5 (da es insgesamt 100 Stimmen gibt und 51 die einfache Mehrheit ist. Wie setzen sich nun die gewinnenden und verlierenden Koalitionen zusammen? Dazu überlegen wir uns, welche Koalitionen überhaupt möglich sind. Wir haben bereits im vorangegangenen Abschnitt gelernt, dass Koalitionen Teilmengen der Menge aller Fraktionen sind. Wir können nun noch einen Schritt weitergehen und feststellen, dass bei einer Menge von n Fraktionen F : ={F1,F2,...,Fn} die Menge aller Koalitionen K der Potenzmenge von F entspricht, d.h.: K=P(F)=P({F1,F2,...,Fn}) Somit wissen wir auch, dass bei n gegebenen Fraktionen insgesamt 2n Koalitionen möglich sind, da die Mächtigkeit der Potenzmenge einer Menge mit n Elementen 2n entspricht.
Für unser Beispiel mit den Fraktionen F1,F2 und F3 sind folgende Koalitionen möglich: K={∅,{F1},{F2},{F3},{F1,F2},{F1,F3},{F2,F3},{F1,F2,F3}} Wir wissen, dass das Quorum bei 51 Stimmen liegt und dass sich die Anzahl der Stimmen einer Koalition als Summe der Stimmen aller beteiligten Fraktionen ergibt. Wir können nun ermitteln, wie viele Stimmen die einzelnen Koalitionen besitzen:
Koalition∅{F1}{F2}{F3}{F1,F2}{F1,F3}{F2,F3}{F1,F2,F3}Stimmen050149519950100
Bei den {F1,F2},{F1,F3} und {F1,F2,F3} handelt es sich um gewinnende Koalitionen, da durch diese das Quorum Q>0.5=51 erreicht wird.
Nun notieren wir, in wie vielen gewinnenden Koalitionen die einzelnen Fraktionen vertreten sind:
FraktionF1F2F3Anzahl gewinnender Koalitionen322
F1 ist in allen gewinnenden Koalitionen {F1,F2},{F1,F3} und {F1,F2,F3} vertreten. F2 und F3 tauchen nur in jeweils zwei gewinnenden Koalitionen, nämlich {F1,F2} und {F1,F2,F3} bzw. {F1,F3} und {F1,F2,F3}. F2 und F3 können alleine keine gewinnende Koalition bilden, was ihnen intuitiv weniger Macht einräumt als z.B. F1, die mit jeder anderen Fraktion eine gewinnende Koalition bilden kann.
Nehmen wir nun allgemein an, dass F einer gewinnenden Koalition K angehört. Wenn F die Koalition K verlässt, dann bleibt K∖{F} übrig. Das Austreten von F aus K kann zwei Folgen haben:
- K∖{F} bleibt weiterhin eine gewinnende Koalition.
- K∖{F} ist nun eine verlierende Koalition.
Im ersten Fall ist der Austritt von F nicht sonderlich tragisch, da die Koalition auch ohne F das Quorum erreicht. Der zweite Fall sorgt hingegen dafür, dass K∖{F} das Quorum nicht mehr erreicht, was für alle Fraktionsmitglieder schlecht ist. In diesem Fall besitzt F also eine gewisse Macht gegenüber den anderen Koalitionspartnern, was uns zum Banzhaf'schen Machtindex führt. Vorher definieren wir jedoch noch eine Eigenschaft von Fraktionen:
Definition 4.1 Kritische Fraktion
Sei K={F1,F2,...,Fn} eine Koalition. Eine Fraktion Fi heißt kritisch für K, wenn folgende Eigenschaften gelten:
- Fi∈K
- K ist eine gewinnende Koalition.
- K∖{Fi} ist eine verlierende Koalition.
Nun können wir die Banzhaf-Macht definieren:
Definition 4.2 Banzhaf-Macht
Sei F die Menge aller Fraktionen, F∈F eine Fraktion und K=P(F) die Menge aller möglichen Koalitionen. Die Anzahl der Koalitionen Ki∈K, für die F eine kritische Fraktion ist, heißt Banzhaf-Macht PB(F) von F.
Darauf aufsetzend definieren wir den Banzhaf-Index:
Definition 4.3 Banzhaf-Index
Gegeben seien die Fraktionen F1,F2,...,Fn. Der <b>Banzhaf-Index</b> IB(Fi) von Fi ergibt sich durch: IB(Fi)=k=1∑nPB(Fk)PB(Fi)=PB(F1)+PB(F2)+...+PB(Fn)PB(Fi) Es ist IB(Fi)∈[0,1] und k=1∑nPB(Fk) die Summe der Banzhaf-Mächte aller Fraktionen.
Ein Banzhaf-Index von 0 bedeutet, dass die Banzhaf-Macht der entsprechenden Fraktion 0 ist. Hat eine Fraktion F einen Banzhaf-Index von 1, dann besitzen alle anderen Fraktionen eine Banzhaf-Macht von 0. Die Summe der Banzhaf-Mächte aller Fraktionen muss 1 sein.
Wir berechnen abschließend die Banzhaf-Indizes für unser Abstimmungsbeispiel mit den Fraktionen F1,F2 und F3. Die Anzahl der gewinnenden Koalitionen, die wir bereits tabellarisch erfasst haben, genügt für die Berechnung der Banzhaf-Macht nicht, da eine Fraktion innerhalb einer gewinnenden Koalition nicht automatisch kritisch ist. Aus diesem Grund listen wir für jede Fraktion auf, für welche gewinnenden Koalitionen sie kritisch sind.
FraktionF1F2F3kritisch fu¨r{F1,F2},{F1,F3},{F1,F2,F3}{F1,F2}{F1,F3}PB(Fi)311
Daraus können wir die Banzhaf-Indizes berechnen. Es ist k=1∑3PB(Fk)=3+1+1=5 (Nenner). Daraus ergibt sich folgende Tabelle: FraktionF1F2F3PB(Fi)311IB(Fi)535151
Interessanterweise besitzen die Fraktionen F2 und F3 nach Banzhaf dieselbe Abstimmungsmacht, obwohl sie sich von der Mitgliederzahl (und dementsprechend der Stimmgewalt) sehr stark unterscheiden.