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Der Begriff Kognition schließt zum einen die Fähigkeit ein, bestimmte Gesetzmäßigkeiten zu erkennen (= Denken). Dieser Prozess umfasst die Aufnahme, Verarbeitung und Bewertung von Informationen. Zum anderen ist das Vorhandensein von sowie der Rückgriff auf Vergleichswissen (= Gedächtnis) inbegriffen. Kurz gesagt, bezeichnet Kognition die Gesamtheit aller Vorgänge, welche der Aufnahme, Verarbeitung und Speicherung von Informationen dienen. Im Folgenden geht es um kognitive Prozesse im Rahmen des schulischen Mathematikunterrichtes. Dabei wird Mathematikunterricht als eine Form der Entwicklung von Darstellungsmöglichkeiten aufgefasst. Beispiele für kognitive Prozesse sind nach Holzinger:

• Begriffsbildung:
Dahinter steht immer eine Abstraktionsleistung, die unterschiedlichen Objekten ein gemeinsames Merkmal zuordnet. Man denke hier an den Zahlbegriff, welcher entsteht, wenn man Mengen unter dem Aspekt ihrer Mächtigkeit betrachtet. In manchen Fällen werden Begriffe im Laufe der Zeit durch neue Aspekte ergänzt und auf diese Weise immer mehr vervollständigt. Der Begriff der Proportionalität etwa taucht im Rahmen einer Mathematikausbildung immer wieder in neuen Zusammenhängen auf und wird so immer vollständiger.
Die Bildung mathematischer Begriffe ist eine wichtige Form der Entwicklung von Darstellungsmöglichkeiten, die schon beim Lernen von Schulanfängern von Bedeutung ist. Man nennt den Prozess der Begriffsbildung auch den Prozess der ‚hypostatischen Abstraktion‘ was im Deutschen ‚vergegenständlichende Verallgemeinerung‘ heißt. Eine hypostatische Abstraktion ist derjenige Prozess, durch den wir einen Gedanken als ein Ding auffassen. Jedes Nomen unserer Sprache ist das Ergebnis einer hypostatischen Abstraktion, mit der irgendwann in unserer Kulturgeschichte etwas ‚auf einen Begriff gebracht‘ wurde, wie man auch sagt. Bereits unsere Zahlworte sind Zeichen für ‚abstrahierende Vergegenständlichungen‘.

• Wahrnehmung:
Dieser Terminus drückt aus, dass wir für wahr halten (oder nehmen), was wir wahrnehmen. In der Mathematik wird die Wahrheit allerdings entweder axiomatisch gefordert oder auf der Grundlage wahrer Aussagen geschlossen. Schulmathematik wird nicht axiomatisch betrieben. Einige in den Axiomen geforderte Aussagen werden von Schülerinnen und Schülern wahrgenommen und für selbstverständlich gehalten, zum Beispiel die Gesetze für das Rechnen mit Zahlen oder die Flächenaxiome. Der Gedanke ‚diese Menge besteht aus 5 Objekten‘ wird durch das Zahlzeichen 5 ersetzt (siehe Begriffsbildung). Die so gewonnenen Zahlzeichen werden in nahe liegender Weise miteinander verknüpft und es entstehen neue Zeichen für die Verknüpfungen. Die Verknüpfungen zeigen charakteristische Strukturen, die in Gesetze gefasst werden. Die Gesetze werden von guten Grundschülerinnen und –Schülern intuitiv wahrgenommen (man kann auch sagen ‚entdeckt‘). Das Kommutativgesetz wird zum Beispiel von einigen Schülern intuitiv genutzt, um neue Multiplikationsergebnisse auf bekannte zurück zu führen. Das Distributivgesetz kommt oft wie selbstverständlich zum Einsatz, wenn eine mehrstellige Zahl mit einer einstelligen multipliziert werden soll.

• Wiedererkennung:
Man kann nur wiedererkennen, was man kennt. Das Mathematiktreiben setzt daher umfangreiches, verfügbares Wissen voraus, das zum Teil auch einfach nur auswendig gelernt sein darf. Die Zahlenfolge 1, 8, 27, 64, 125, … wird nur dann wiedererkannt, wenn man auf entsprechendes Vergleichswissen zurückgreifen kann. Mathematiktreiben ist vielfach Mustererkennung. Deshalb hilft dabei ein Wissensvorrat an Mustern, die dann nur noch wiedererkannt werden müssen.

• schlussfolgerndes Denken:
Wird eine Wahrnehmung (zum Beispiel eine Mustererkennung) in einer Hypothese formuliert, geht es darum, den Wahrheitsgehalt der Hypothese nachzuweisen. Dies geschieht dann durch schlussfolgerndes Denken. Als Ausgangspunkt werden in der Schulmathematik Aussagen zu Grunde gelegt, deren Wahrheitsgehalt entweder evident erscheint oder bereits nachgewiesen wurde. Die Folgerungen werden dann vom „gesunden Menschenverstand“ geleitet. Der Satz des Pythagoras wird in der Schule meistens damit bewiesen, dass die Kathetenquadrate so zerlegt werden, dass die Teilstücke genau das Hypotenusenquadrat ausfüllen.
Besser als in allen anderen Schulfächern kann exemplarisch in der Mathematik die Entwicklung der Erkenntnis als Verallgemeinerungsprozess, der in der Einführung idealer Gegenstände der kognitiven Tätigkeit vermöge hypostatischer Abstraktionen auf stets höherer Stufe besteht, vom Schüler erlebt werden. Das Wesentliche am Prozess der hypostasierten Abstraktion ist die Rekursivität des Denkens, die darin zum Ausdruck kommt, dass ein Gedanke oder eine Handlung zum Gegenstand eines anderen Gedankens wird. Die unendliche Rekursivität des Abstraktionsprozesses ist ein Merkmal der Mathematik der Moderne und ein überaus wichtiger Aspekt des Mathematikunterrichts.

geschlossen: Wissensartikel
von Roland
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