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In der Schulmathematik ist ein Beweis die Herleitung einer mathematischen Aussage mit Hilfe des gesunden Menschenverstandes aus anderen wahren Aussagen. Dabei kann der Wahrheitsgehalt dieser anderen Aussagen

- vereinbart werden,
- offensichtlich oder
- bewiesen sein.
Schulmathematik stĂŒtzt Beweise letztlich auf Konsens, Evidenz und das, was man mit ‚gesundem Menschenverstand‘ unprĂ€zise beschreibt und ĂŒblicherweise als ‚Logik‘ bezeichnet wird. Ob die Logik selbst dabei GĂŒltigkeit besitzt, bleibt in der Schule unklar. Zu den Aussagen, die konsensuell als wahr gelten, gehören insbesondere die Definitionen, welche festlegen, was man unter einem Terminus verstehen will. Der Terminus ‚Raute‘ kann zum Beispiel definiert werden als ‚Viereck mit vier gleichlangen Seiten‘. Viele Definitionen verwenden ihrerseits Termini, die im Zweifel noch einer Definition bedĂŒrfen. Über die Bedeutung von ‚Viereck‘, ‚Seite‘ und ‚gleichlang‘ muss Konsens bestehen, damit die genannte Definition des Terminus ‚Raute‘ akzeptiert werden kann. Anstelle des Wortes ‚Terminus‘ wird gerne das Wort ‚Begriff‘ verwendet. Dies wird hier vermieden, weil wir unter einem ‚Begriff‘ die Summe aller Eigenschaften, Muster und GesetzmĂ€ĂŸigkeiten des mit einem Terminus bezeichneten Objektes oder Sachverhaltes verstehen wollen. Die Semiotik verwendet fĂŒr einen in diesem Sinne verstandenen Begriff die Bezeichnung ‚hypostatische Abstraktion‘ (zu Deutsch etwa ‚vergegenstĂ€ndlichende Verallgemeinerung‘). Jedes Nomen unserer Sprache ist genau genommen eine hypostatische Abstraktion. Wollen wir ein Nomen in einen weiterfĂŒhrenden Gedanken einbauen – wird also das Nomen Gegenstand eines weiterfĂŒhrenden Gedanken, so mĂŒssen wir vieles ĂŒber dieses Nomen wissen, um es sinnvoll und sachlich zutreffend zu verwenden. Wollen wir das Nomen ‚Raute‘ zum Gegenstand des weiterfĂŒhrenden Gedanken machen ‚Die Diagonalen einer Raute stehen senkrecht aufeinander und halbieren sich gegenseitig‘ so mĂŒssen wir einiges ĂŒber die Raute wissen. Der Begriff Raute muss als hypostatische Abstraktion verfĂŒgbar sein. Dabei soll ‚hypostatisch‘ darauf hinweisen, dass hier ein Gedanke zum Gegenstand eines weiterfĂŒhrenden Gedanken (Hypostase = VergegenstĂ€ndlichung) geworden ist und ‚Abstraktion‘ beschreibt hier die Verdichtung vieler Eigenschaften, Muster und GesetzmĂ€ĂŸigkeiten, die in diesem Begriff enthalten sind zu einem sogenannten Superzeichen (Abstraktion= reduzierende Verallgemeinerung).

Auch Aussagen, deren Wahrheitsgehalt im oben beschriebenen Sinne hergeleitet wurde (die also bewiesen sind und in der Mathematik ‚SĂ€tze‘ heißen) können und mĂŒssen spĂ€ter als hypostatische Abstraktionen beim erfolgreichen Lernen und Denken zur VerfĂŒgung stehen. So muss zum Beispiel die folgende Aussage fĂŒr natĂŒrliche Zahlen t und n als hypostatische Abstraktion zur VerfĂŒgung stehen:
          ‚Mit jedem Teiler t von n ist auch t/n ein Teiler von n.‘
wenn man beweisen will:
         â€šEine natĂŒrliche Zahl mit einer ungeraden Anzahl verschiedener Teiler ist eine Quadratzahl:‘


Die Begriffe der Mathematik, die bereits im Unterricht behandelt wurden und von denen der/die Lehrer*in daher annimmt, dass sie zur Lösung von Aufgaben zur VerfĂŒgung stehen, haben keineswegs immer den Charakter einer hypostatischen Abstraktion im Bewusstsein und Denken aller SuS. Allein dieser Umstand macht Beweisaufgaben fĂŒr SuS außerordentlich schwer. Eine weitere Erschwernis ergibt sich aus der Tatsache, dass fĂŒr viele Beweise ein sogenannter ‚Geistesblitz‘ erforderlich ist. Deshalb werden im Unterricht einige Beweise exemplarisch vorgefĂŒhrt und lediglich deren Reproduktion bei Transfer auf sehr Ă€hnliche FĂ€lle verlangt. Bekanntes Beispiel ist die VorfĂŒhrung des Beweises einer Ableitungsregel in der Differentialrechnung, die dann ĂŒbertragen auf eine neue Funktion reproduziert werden soll.

Die Einsicht in das ‚Warum‘ einer gĂŒltigen Aussage liefert sehr oft bereits die Beweisidee. So ermöglicht untenstehende Skizze Einsicht in die GĂŒltigkeit des Satzes von Pythagoras.

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Die Beweisidee besteht jetzt darin, zu zeigen, dass Dreiecke gleicher Farbe kongruent sind und dass das Quadrat ABCD von den gleichen FlĂ€chenstĂŒcken ĂŒberschneidungsfrei und vollstĂ€ndig ĂŒberdeckt wird, wie die beiden Quadrate EFKD und HFGB. Diesen Beweis formal in der Sprache und Stenografie der Mathematik niederzuschreiben, unterbleibt in der Schule meistens. Es genĂŒgt – wie so oft in der Schulmathematik – Evidenz.

Der Verzicht auf die formale Niederschrift eines Beweises wird von einigen Didaktikern fĂŒr ein VersĂ€umnis des real praktizierten Mathematikunterrichtes gehalten. TatsĂ€chlich sollten auch diese Niederschriften von Beweisen an geeigneter Stelle vermittelt und geĂŒbt werden. FĂŒr das Verstehen der vermittelten Inhalte ist Evidenz allerdings wichtiger als formale Korrektheit.

geschlossen: Wissensartikel
von Roland
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