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Mir ist heute eine Mail vom 02.06.2015 in die Hände gefallen und ich dachte mir, es ist recht interessant, diese Ausführungen zur Diskussion zu stellen. Vorwiegend geht es um bestehende Online-Lernplattformen und das, was ihnen noch fehlt.

Das ist die Mail der Matheretter-Kundin:

Die ersten Minuten habe ich genutzt, mir einen Überblick über die Inhalte zu verschaffen. Dann für Brainstorming. Wie gesagt, soweit ich die Matheretter-Fachvideos bisher gesehen habe, sind Ihre Erklärungen in den einzelnen Themen didaktisch klasse weil sehr anschaulich. Für Leute wie mich ideal - und Leute die Mathe mit Schulmethoden kapieren, brauchen ohnehin kein Lernportal ;-). Was jedoch fehlt, und zwar auf allen Portalen fehlt, ist Folgendes:

1. Die Erklärungen, wozu die jeweiligen Mathe-Themen gut sind und was GENAU man mit ihnen im Alltag bzw. im Beruf (an möglichst vielen anschaulichen Beispielen) anstellen kann. Und zwar jenseits des Levels von Bauern, die den Ertrag ihrer dicken Kartoffeln berechnen möchten. Ich habe das Abitur und weiß bis heute nicht, was ich davon hätte Nullstellen in Graphen berechnen zu können. Ich weiß nur bestenfalls vage, dass ich ohne Mathe definitiv kein Maschinenbau studieren und ohne das Studium (=einen formellen Abschluss, denn in Deutschland braucht man für echt alles einen Wisch) nur schwerlich spannende Dinge (in Unternehmen mit ausreichend Budget im Rücken) erfinden kann. In der Mittelschule (bin Immigrantin) fing ich an, Deutsch zu lernen. Wozu Deutsch gut ist, leuchtete mir sofort ein: Ohne Deutsch geht in Deutschland praktisch gar nichts. Wozu Mathe gut ist, außer für Schulnoten vielleicht, blieb mir und meinen LeidensgenossInnen angesichts eines menschlich fragwürdigen Lehrers völlig unklar. Ohne das Verständnis WOZU man etwas tun soll, fehlt jede Motivation es zu tun. Und ohne Motivation helfen die besten Ressourcen nicht, gut in einem Fachgebiet zu werden. Mathe ist oft zu abstrakt und krankt daran sehr. Idealerweise haben die Erklärungen als Köder mit der Lebenswirklichkeit der Zielgruppe zu tun, mit einem eleganten Schwung als Ausblick auf die Zukunft ("das kannst du jetzt schon mit diesem Wissen berechnen und hierfür anwenden, und wenn du das und das noch dazu lernst, kannst du z.B. Roboter bauen"... oder so ähnlich).

2. Echte Vorbilder als gute Beispiele realer Erfolge. "Interview - Kein Bock auf Mathe in der Schule, danach Mathestudent" und die Zitate der Nutzer (bei denen ein Außenstehender nicht nachvollziehen kann wie echt die sind, weil sie nicht mit echten Profilen verknüpft sind? Oder?) sind schon ganz gute Schritte in diese Richtung. Trotzdem vielleicht bisschen wenig, denn echte Vorbilder sind gute Motivatoren. Ich habe bei meiner Recherche kein einziges Portal gefunden, das gleichzeitig lehrt UND motiviert. Totale Marktlücke, gerade im Bereich schwer verdaulicher Fächer wie Mathe und Physik. Wie erfolgreich passende Motivatoren funktionieren, sieht man an z.B. Community-Abnehmportalen wie MyFitnessPal, Weilos und anderen. Dort kann man zahlreiche Vorbilder nicht nur auf ihrem Weg begleiten, sondern mit ihnen reden und ihre Geheimnisse entdecken. Und jeder einzelne Teilnehmer kann gleichzeitig ein Vorbild für andere sein, sofern er oder sie bereit ist, seinen Erfolg (z.B. mittels Bildern, Kiloangaben und den hierzu benutzten Methoden wie ausgeübten Sportarten usw) zu dokumentieren und mit anderen zu teilen. Ich weiß, dass deshalb so genau, weil ich in weniger als 1,5 Jahren knapp 27kg (and counting) auf sehr gesunde Weise abgenommen habe. Eines Tages vor etwa zwei Jahren habe ich beschlossen hobbymäßig fliegen zu lernen, und dafür brauche ich Geld, Fitness und Idealgewicht. An Fitness und Idealgewicht arbeite ich jetzt schon, und pleite wie jetzt will ich auch nicht ewig bleiben. Ein Ingenieurberuf ist nicht nur reizvoll, sondern brächte mich auch finanziell sicher näher zu diesem Ziel. Wichtig an Vorbildern ist auch, dass sie (mit Ihrem Beispiel voran gehend) helfen können individuell geeignete Zwischenschritte bis zum Ziel zu definieren. In der Schule habe ich von Prüfung zu Prüfung gedacht (und musste oft unter Stress durch den Stoff hechten), nach der Schule denke ich über Wissen und Lernen komplett anders. Ein Lernportal, das diese nachhaltige Art zu denken/lernen frühestmöglich vermittelt, macht etwas echt richtig und es seinen Lernern später echt einfach. Das wären echte Vorteile - kein Marketingsprech.

3. Mehr Hilfe hinsichtlich Lernmethoden. bzw. das Fördern des Verständnisses für den persönlichen Lernprozess und die dazu gehörige Motivation. Gutes Lehren ist ja nicht nur das bloße Stopfen der Köpfe mit Wissen, sondern es geht auch darum Dinge so "gehirngerecht" aufzuarbeiten, dass der Lernende das Wissen möglichst lange behält. Nicht umsonst ist das Motivationsvideo zum Thema Mathe/Physik unangefochten an der Spitze der beliebtesten Videos im ganzen Sofatutor-Portal. Zusammen mit dem Punkt 1 meiner Ideenliste bilden diese Erklärvideos die Sättigungsbeilage für den Wissenshunger auf Mathe - wenn es solche Videos denn gäbe ;-)! Dass jeder anders lernt und unterschiedlich viel Zeit dazu braucht, ist klar. Wenn ich mich einem Thema nähere, wäre es hilfreich auf den ersten Blick sehen zu können, wie lange das jeweilige Video, der jeweilige Themenkomplex, und ggf. das Lösen der dazu gehörigen Aufgaben dauern würden (der Lernplan zeigt es nur so ungefähr, real ist es viel mehr). So ließen sich Lernzeit und Freizeit besser planen und z.B. mittels (integrierter?) Pomodoro-Technik vielleicht sogar im Hinblick auf Konzentration besser strukturieren. Bisher sieht man die Dauer eines Videos nur dann, wenn man es anklickt - aber dann ist es bereits unter "meine History" (fälschlicherweise) abgehakt. Vielleicht wäre es sinnvoll die Dauer jedes Videos bereits in dem Beschreibungstext anzugeben und ein Video erst dann in der History "abzuhaken", wenn es zu mindestens 3/4 geguckt wurde? Außerdem wäre es hilfreich jedes Video mit nur einem Klick um 10 Sekunden zurück und vielleicht vor-spulen zu können (ein Freund von mir hat Amazon Prime, da kann man das in den Videos machen, was gerade beim Lernen sehr nützlich wäre, wenn man einen Moment lang von irgendwas abgelenkt war).

4. Modernes Design als Unterstützung der Übersichtlichkeit und für mehr vom spontanen "gefällt mir"-Gefühl. Es ist so, dass Apple mit gutem Design fett Kohle macht indem es Hardware verkauft, die technisch (nüchtern betrachtet) teils weit hinter dem Angebot der Konkurrenz liegt. Ja, mir ist klar, dass euer spartanisches Layout auf möglichst vielen Betriebssystemen und Browsern funktionieren sollte. Ich nutze z.B. den neuesten Opera der alten Generation (mit keinem anderen Browser ist Verwaltung von Tabs derart einfach und Opera ist nicht so anfällig für Internet Exploder Viren ;).. ), was selten genug ist. Ja, es will auch niemand nervtötende animierte GIFs oder einen Kollegen von Karl Klammer (Relikt aus MS Office) auf einer Seite haben, bei der es um Konzentration geht. Aber etwas peppiger mit ein paar netten Icons gings scho, wa? Fast hätte ich Ihr Portal übersehen, wenn ich nur auf das Design geschaut hätte. Vielleicht ließe sich da was mit Skins und der Hilfe eines guten GUI Designers machen? No offense, but: Im Moment sieht das nüchterne Design aus wie von jemand, der gut programmieren (aber keine Logos gestalten) kann. Total sinnvoll im Bereich der Funktionalität und bei den praktischen Mathetools, nicht besonders elegant im Bereich "sieht so geil und chillig aus hier, da bleib ich doch glatt länger als ich unbedingt muss".

5. Gut aufbereitetes und homogen präsentiertes Wissen ist Trumpf :). Ich habe mich gegen kostenlose Portale entschieden, weil ich dort zwar finanziell gesehen günstig in bestimmte Themen einsteigen kann, dabei aber viel zu viel Zeit damit verbringe, festzustellen, welches Wissen in welcher Reihenfolge ich brauche um das Große Ganze zu kapieren (ohne den Faden zu verlieren). Sofatutor hat zwar eine ganz gute Strukturierung, aber User Generated Content hat den Nachteil, gerade bei komplexen Themen wie Mathe durch seine Inhomogenität der Präsentation zu verwirren und vom eigentlichen Thema oder Themenstrang abzulenken. Dank der kostenlosen Vorschau und den monatlich drei freien Sofa-Videos konnte ich mich davon überzeugen, dass die homogene Erklärweise von Matheretter mir besser liegt ;-). Und dass Sofatutors Obermathelehrer Martin Wabnik mit seiner überfröhlichen Art zu lehren und seiner Vorliebe für die Farbe LILA echt krass mega nervt, schmunzel. Also Daumen hoch für Ihr Material! :)

6. Ich habe kein Lernportal gefunden, das den Stoff systematisch und umfassend vor allem an jene vermitteln kann, die sich beruflich umorientieren und (beispielsweise in Mathe) "einfach alles von Grund auf" wiederholen müssen. Aber Ihr Portal ist in dieser Hinsicht schon spannend! In unserer Gesellschaft haben Mathelücken (bislang) nicht das Stigma von beispielsweise Analphabetismus. In der Wissensgesellschaft in der wir aber leben, werden Naturwissenschaften immer wichtiger. Ich habe zufällig gerade heute wieder einen Artikel darüber gelesen, welche Berufe wegen voranschreitender Automatisierung in absehbarer Zukunft auf der Abschussliste sehen. Solche Artikel sind in den letzten zwei Jahren in der Zeit, Welt, WirtschaftsWoche, Spiegel und co. vermehrt erschienen, aber naturwissenschaftliche Berufe sind kaum auf den Listen. Ich bin jetzt keine Person die schon jahrzehntelang in einem Beruf steht sondern suche meinen Beruf erst, aber der klare Trend ist sichtbar. Gemäß diesem Trend kann und wird es in unserer Gesellschaft zukünftig immer mehr Menschen geben, die als Erwachsene (Mathe-) Lücken füllen oder Dinge komplett neu lernen müssen. Der Trend geht auch zu digitaler Bildung, zumal sie profitabel weil skalierbar ist. Ein Portal das es schafft dieses Wissen (z.B. nach einem Lerntypentest) für den Lernenden so aufzubereiten, dass es für ihn ideal ist (weil das Portal weiß, dass es sich z.B. gerade an einen Erwachsenen und nicht an ein Kind wendet), hätte nicht nur im Marketing die Nase vorn. Erwachsenenbildung ist zudem eine so relevante Nische, dass sich vielleicht sogar Gelder von ARGE, Ländern, Bund oder gar EU locker machen ließen. Haben Sie schon darüber nachgedacht? BrainPower ist und bleibt die wertvollste Ressource dieses Landes. Ich weiß, dass es Experten gibt, die bei der Bewerbung auf EU-Fördertöpfe helfen können, wahrscheinlich gibt es so etwas auch landesweit. Ein gutes Bildungsportal ist doch ganz großes Kino und gehört vielleicht in Zukunft zur Grundausstattung jeder deutschen Schule (auch denen für Erwachsenenbildung). Das wär doch mal was?

Soweit spontan meine Ideen. Ich hoffe, dass das eine oder andere für Sie von Nutzen ist.

Ich habe mir herausgezogen:

- Alltagsnähe der mathematischen Inhalte für Lernende bzw. Aufzeigen des Nutzen der Mathematik im Alltag

- Echte Vorbilder für Lernende (denen man folgen kann)

- Gamification beim Lernen

Was denkt ihr darüber? Was brauchen wir noch, um Lernplattformen wie Matheretter und Sofatutor besser zu machen?

Beste Grüße
Kai

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1 Antwort

+1 Daumen

Ich frage mich ob die Fragestellerin mal in ein Mathematikbuch gesehen hat. Eigentlich werden dort auch immer Anwendungsaufgaben gestellt, die die Aufgaben in der Praxis zeigen.

Wozu man z.B. Nullstellen und Ableitungen braucht?

Eine Murmel wird auf der Höhe h fallen gelassen. Die Höhe in Metern in Abhängigkeit der Zeit in Sekunden nach Fallenlassen kann über die Funktion h(t) = - 5·t^2 beschrieben werden. Nach welcher Zeit kommt die Murmel auf dem Boden auf? Welche Geschwindigkeit hat sie bei Aufkommen am Boden. Welche Durchschnittsgeschwindigkeit, hatte sie während der Fallzeit.

Aber es gibt natürlich Schüler die es einfach nicht Interessiert, wie die Physik/Mathematik Dinge aus der Natur beschreiben kann.

Aus einem Baumstamm mit dem Durchmesser d soll ein rechteckiger Balken von möglichst großer Tragkraft herausgeschnitten werden. Berechnen Sie Breite und Höhe des Balkens zunächst allgemein und dann für einen Baumstammdurchmesser von 46 cm! (Widerstandsmoment W = (1/σ) * bh^2)

https://www.mathelounge.de/419634/extremwertaufgabe-balken-im-baumstamm

Ich denke auch an die vielen Extremwertaufgaben zur Kostenreduzierung.

Welche Maße muss eine Konservendose mit 500 ml Inhalt haben damit möglichst wenig Material beim Herstellen verbraucht wird.

Vielleicht wäre es nützlich und hilfreich wenn aus vielen Berufen Leute referieren würden wozu Mathematik in dem Berufsumfeld unbedingt gebraucht wird.

Und Einleuchtend. Deutsch braucht man. Aber braucht man auch Gedichtinterpretationen?

Das ist immer eine Frage, was man nachher mal machen will.

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