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Stephen Hawking publizierte im Mai 2014 zusammen mit anderen herausragenden Wissenschaftlern des „Future of Life Institute“ einen offenen Brief, der folgende Behauptung enthielt: Angesichts der jüngeren Fortschritte der künstlichen Intelligenz müsse man befürchten, dass diese »Superintelligenzen« in einer nahen Zukunft dem Menschen in allen Bereichen überlegen sein könnten. Hier geht es um die Frage, ob das auch für alle Bereiche der Mathematik gilt.

In den Worten eines anderen Fachmannes ist „Künstliche Intelligenz“ ein fehlgeleiteter Begriff und eine mediale Inszenierung. Eigentlich geht es nur um Sammlung und Verarbeitung riesiger Datenmengen. Avancierte Datenanalysefähigkeiten sind der Schlüssel zu Innovationsführerschaft im Datenzeitalter; der Begriff „Künstliche Intelligenz“ zur Bezeichnung dieser Fähigkeiten ist einigermaßen fehlgeleitet. Insbesondere lernende Systeme brauchen in der Regel eine große Menge an Trainingsdaten, die vielfach zumindest nicht leicht verfügbar ist.“

Der finnische Computerspezialist Matti Aksela wiederum sagt: „Als künstliche Intelligenz lässt sich alles bezeichnen, was einer Nachahmung menschlichen kognitiven Verhaltens durch eine Maschine gleichkommt. Konkreter ausgedrückt: das Erkennen von Mustern in einer Sammlung gegebener Aufgaben und die Ableitung von Strategien, um durch Abstraktion dann auch unbekannte Probleme lösen zu können.

Menschliches kognitives Verhalten lässt sich insbesondere an der Arbeit eines Mathematikers illustrieren. Auch er muss Muster erkennen, Begriffe abstrahieren, Strategien beherrschen und im Zusammenspiel dieser Fähigkeiten und Fertigkeiten unbekannte Probleme lösen.

Unbestritten können Computer viele mathematische Beweise führen, die meisten strategischen Spiele besser als ein noch so begabter Mensch spielen und sogar erkennen lassen, dass sie etwas gelernt haben. Diese Leistungen werden aus zwei Gründen möglich: Die Computer werden mit riesigen Mengen von Daten gefüttert – weit mehr als ein menschliches Gehirn speichern kann – und die Verarbeitung dieser Datenmengen geschieht in unvorstellbarer Schnelligkeit – viel schneller als ein menschliches Gehirn arbeiten kann. Es darf nicht übersehen werden, dass der Mensch die Daten auswählt und dem Computer übergibt. Weiterhin geschieht die Verarbeitung der Daten oft erst, nachdem der Computer wenigstens teilweise ein gelungener Nachbau des menschlichen Gehirns ist und die meisten Regeln zur Verknüpfung der Daten dem Computer mitgeteilt wurden.

Im Nachbau des menschlichen Gehirns sind Informatiker schon ein gutes Stück vorangekommen. Aber die Prognose, den vollständigen Nachbau des menschlichen Gehirns oder auch nur die Eingabe zahlloser Regeln zur Verknüpfung von Daten, in absehbarer Zeit zu erreichen, erscheint dennoch als zu optimistisch. Es kann nicht einmal vorausgesagt werden, ob dies Ziel überhaupt erreichbar ist. Der genuin kreative Computer liegt noch in weiter Ferne und niemand weiß, ob und wann er je gebaut wird. Das ist allerdings eine Behauptung, die nicht leicht zu beweisen ist. Wann immer die Leistungsfähigkeit eines Computers – gerade hinsichtlich seiner Kreativität – in Zweifel gezogen wird, bedarf es einer Aufgabe, die der Computer bisher noch nicht lösen kann. Und sofort finden sich Informatiker, die den Computer mit den Daten und den zugehörigen Verknüpfungsregeln füttern, die zur Lösung der Aufgabe erforderlich sind und seine Fähigkeiten so erweitern, dass die Lösung der Aufgabe gelingt. Dazu muss aber der Informatiker selbst eine grobe Vorstellung von einem Weg zur Lösung haben. Wer die Intelligenz von Computern in Zweifel zieht, hat dann zwar mittelfristig keine Argumente mehr, aber der Informatiker wird zugeben müssen, dass der genuin-kreative Gedanke, der zur Lösung geführt hat, seinem eigenen Gehirn entsprungen ist und nicht vom Computer generiert wurde.

Im Folgenden werden Beispiele von Aufgaben aus der Mathematik gestellt und mit der Frage verbunden, ob KI sie lösen kann.

Erstes Beispiel: An einer Weggabelung bilden zwei geradlinige Wege einen gegebenen Winkel. Auf einem der beiden Wege ist ein Ziel festgelegt. Zwischen den Wegen liegt eine Wiese. Gesucht ist der Weg eines Fußgängers, der an der Weggabelung steht und auf drei gradlinigen, gleichlangen Teilstrecken zum Ziel gelangen soll. Zwei Teilstrecken sollen auf je einem der beiden Wege, die dritte Teilstrecke auf der Wiese liegen. Man konstruiere (ohne zu rechnen) auf der unten-stehenden Karte den Weg des Fußgängers.

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Ein Computer könnte in einem Bruchteil einer Sekunde tausende (vielleicht sogar Millionen) Züge aus drei Teilstrecken konstruieren, von denen dann einer als gute Näherung gewertet werden kann. Das ist aber nicht intelligent. Eine intelligente Lösung gelingt, wenn nur der erste noch nicht zum Ziel führende Weg zentrisch gestreckt wird. Diese Erkenntnis könnte man als „genuin kreativ“ bezeichnen. Natürlich kann man dem Computer auch die Fähigkeit zur selbständigen zentrischen Streckung beibringen. Aber der Computer ist nicht genuin kreativ. Seine scheinbar intelligente Lösung ist erst nach Vorgabe durch einen intelligenten Menschen erbracht worden.

Ein Computer ist bestenfalls so intelligent, wie der Mensch, der ihn auf seine Intelligenzleistungen vorbereitet. Von einer Überlegenheit des Computers  gegenüber dem Menschen muss man in Bezug auf Schnelligkeit und Speicherfähigkeit sprechen, nicht aber in Bezug auf Genialität oder genuine Kreativität.

Zweites Beispiel: Was ist das Gemeinsame der unten dargestellten Objekte?

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Ein gut vorbereiteter Computer wird ebenso, wie ein fünfjähriges Kind zur Bezeichnung der Gemeinsamkeit den Begriff „Baum“ benutzen. Um einem Computer das menschliche Weltwissen zu vermitteln, muss man ihn mit großen Datenmengen füttern. In diesem speziellen Beispiel geht es in der Sprache der KI-Forscher um ‚Bilderkennung‘ oder ‚Mustererkennung‘. Das Konzept (oder der Begriff) „Baum“ wird in der KI in einer sogenannten ‚Ontologie‘ abgelegt. Das ist ein Terminus aus der Philosophie und beschreibt eine Sammlung von Klassifizierungen. Da das Weltwissen aus sehr vielen solcher Konzepte zusammengesetzt ist, kann es dem Computer nur durch große Sammlungen solcher Ontologien einverleibt werden. Seit 1984 wird ein System mit dem Namen ‚Cyc‘ aufgebaut, das inzwischen 300 000 Konzepte enthält. Zusätzlich zu den Konzepten braucht das System auch Regeln, etwa zur Klärung der Beziehungen der Konzepte untereinander oder zur Verknüpfung vorhandener Daten. Das System Cyc enthält 3 Millionen solcher Regeln. In Form von Cyc ist es mit riesigem Arbeitsaufwand gelungen, das Weltwissen eines fünfjährigen Kindes zu erfassen.

Ein fünfjähriges Kind kann in den meisten Fällen auch die Frage beantworten: „Was ist das Gemeinsame der folgenden Bilder?“

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Seine Antwort setzt eine Abstraktionsleistung voraus, die auch von Computern erbracht werden kann, wenn ihnen Regeln dafür eingegeben werden. Denkbar, dass unter den 3 Millionen Regeln des Systems Cyc auch solche sind, die eine Antwort auf die Frage ermöglichen.

Eins ist aber sicher: Die Schulnote 5, welche eine mangelhafte Leistung beschreibt, wird von Cyc nicht mit der Mächtigkeit 5 in Verbindung gebracht, die aus diesen drei Bildern abstrahiert werden kann. Allein die deutsche Sprache kennt eine Unzahl von mehrdeutigen Begriffen, die von keiner Ontologie oder einem zugehörigen Regelwerk erfasst werden.

Um die künstliche Intelligenz der menschlichen Intelligenz auch nur näherungsweise vergleichbar zu machen, muss der Arbeitsaufwand noch einmal erheblich gesteigert werden. Der KI-Forscher Wolfgang Wahlster schlägt vor, das Kürzel „KI“ mit „kommende Informatik“ zu übersetzen. Dann würden wohl auch Befürchtungen ausgeräumt, die KI könne intelligenter werden als der Mensch.

Die Sätze der Mathematik sind nicht vollständig durch das System ihrer Regeln oder die Menge ihrer Daten vorausbestimmt, sodass es immer wieder Überraschungen geben kann. Solche Überraschungen leuchten dem genialen Geist entgegen, wenn er die Repräsentation eines Sachverhaltes gemäß den Regeln der Mathematik immer wieder wechselt und schließlich ein Muster oder eine Gegebenheit entdeckt, die bisher subjektiv oder gar objektiv unbekannt war und die sich beweisen lässt. Computer, die im Stande wären, solche Überraschungen zu generieren, könnten für einen Moment intelligenter wirken als der Mensch.

Im Zuge einer Beschreibung und Beantwortung einer mathematischen Fragestellung kann ein Computer sehr hilfreich sein. Aber an diese Beschreibungen und Lösungen schließen sich oft weitere Fragen an, die zwar der Mensch der Maschine stellen kann, die sich die rechnende Maschine aber nicht selbständig stellt. Bei der Entdeckung und Beantwortung von Fragen leistet ein Computer sicher wertvolle Dienste, Fragen formulieren oder gar Antworten beweisen kann er aber nicht in jedem Falle.

Und warum glauben wir dann so naiv an die Verheißungen moderner Technologien? Weil dafür unfassbare Marketingbudgets eingesetzt werden, und zwar von einer kleinen Elite, der  es darum geht, Gelder locker zu machen, und außerdem hat sich diese Elite einen kindlichen Glauben an die Technik erhalten.

geschlossen: Wissensartikel
von mathelounge
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Ein Computer ist bestenfalls so intelligent, wie der Mensch, der ihn auf seine Intelligenzleistungen vorbereitet.

Sehr schöner Artikel! Exzellent.

Ich habe die Überschrift umformuliert, damit der Artikel mehr Beachtung findet!

PS: Die Bonuspunkte wurden gutgeschrieben, auch zu den ausstehenden Artikeln.

Danke für das Kompliment und die Überarbeitung meiner Überschrift.

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