+3 Daumen
365 Aufrufe

Wir wollen zunächst ganz kurz mit komplexen Zahlen anfangen: Wir kennen die reellen Zahlen \( \mathbb R \) und definieren damit den Körper der komplexen Zahlen als \( \mathbb C := \mathbb R \times \mathbb R \). Damit haben wir genau die Struktur erzeugt, die wir intuitiv von komplexen Zahlen kennen: Die erste Komponente ist der Realteil, die zweite der Imaginärteil. Definieren wir \( \mathrm i := (0, 1) \in \mathbb C \) (Realteil \( 0 \), Imaginärteil \( 1 \)) und erkennen, dass wir jede reelle Zahl \( r \in \mathbb R \) als \( (r, 0) \) (Realteil \( r \), Imaginärteil \( 0 \)) darstellen können, so können wir jede komplexe Zahl \((a, b) \in \mathbb C \) als \( (1, 0) \cdot a + (0, 1) \cdot b = a + \mathbb i b \) notieren. Eigentlich haben wir damit aber schon viele implizite Schritte übersprungen.

Aber wir halten kurz fest: In \( \mathbb C \) ist \( 1 := (1, 0) \) und \( \mathbb i := (0, 1) \) (man könnte auch sagen, die Menge \(\{1, \mathrm i\}\) bildet eine Basis von \( \mathbb C \), wenn man \(\mathbb C \) als Vektorraum auffasst, aber das nur nebenbei).

Das Fundamentale an \( \mathbb C = \mathbb R^2 \) ist seine Eigenschaft, ein Körper zu sein. Denn wir werden gleich sehen, dass das bei keiner mehrdimensionalen Menge \( \mathbb R^n \) mit \( n > 2 \) mehr der Fall ist. Dazu müssen wir uns zunächst klar machen, was einen Körper ausmacht: Ein Körper ist ganz allgemein eine Menge, auf der wir zwei Verknüpfungen \( + \) und \( \cdot \) definieren (mit den entsprechenden Umkehroperationen \( - \) und \( \div \) ergeben sich dann die bekannten vier Grundrechenarten), die bestimmte Eigenschaften haben - zum Beispiel Kommutativität (\(a + b = b + a \) und \( a \cdot b = b \cdot a \)) und Assoziativität und Verträglichkeit von \( + \) und \( \cdot \), Distributivität (was das genau für Eigenschaften sind, ist hier gar nicht so wichtig, aber sie sind alle intuitiv recht trivial). Hinzu kommt, dass wir fordern, dass jedes Element der Menge ein Inverses bezüglich der Addition und ein Inverses bezüglich der Multiplikation hat, das ebenfalls in der Menge liegt (überlegen wir es uns an \( \mathbb R \), sind auch diese Eigenschaften klar, das Inverse von \( 2 \) ist \( -2 \) bzgl. \( + \) und \( \frac 12 \) bzgl. \( \cdot \), auf der Menge \( \mathbb Z \) der ganzen Zahlen ist die Existenz multiplikativer Inverser aber im Allgemeinen zum Beispiel nicht gegeben).

Verallgemeinern wir jetzt allerdings von einer Dimension in \( \mathbb R \) auf zwei Dimensionen in \( \mathbb R^2 = \mathbb C \), ist nicht mehr ganz trivial, was denn nun das multiplikative Inverse einer komplexen Zahl \( (a, b) \) ist. Und genau das wollen wir uns mal genauer ansehen, denn die Existenz eines multiplikativen Inversen macht die auf \( \mathbb C \) (noch nicht) definierte Multiplikation zu einer Multiplikation wie wir sie kennen (und dass das so ist, die Multiplikation also Eigenschaften wie Kommutativität, Assoziativität, Existenz eines Inversen, etc. hat, ist überhaupt nicht trivial).

Dazu eine kurze Definition: Das multiplikative Inverse \( b \) einer Zahl \( a \) ist die Zahl mit \( ab = ba = 1 \), wir schreiben dafür auch \( \frac 1a \). Damit eine Menge ein Körper ist, muss für jedes Element \( a \neq 0 \) ein multiplikatives Inverses existieren (für \( 0 \) existiert im Allgemeinen keines - man überlege sich das wieder ganz einfach an \(\mathbb R \)).

Wir müssen uns überlegen, wie wir die Multiplikation zweier komplexer Zahlen

$$ (a, b) \cdot (c, d) $$

überhaupt erstmal definieren. Welches Tupel kommt am Ende heraus? Ein trivialer Kandidat wäre die kanonische Definition \( (a, b) \cdot (c, d) := (ac, bd) \), dann wäre das multiplikative Inverse von \( (a, b) \) entsprechend \( (a^{-1}, 0) \), aber wir stoßen hier auf ein Problem: \( a^{-1} \) muss nicht existieren. In \( \mathbb C \) ist \( (0,0) \) das Nullelement, damit \( \mathbb C \) ein Körper ist, muss also für jedes andere Element ein multiplikatives Inverses existieren - überlegen wir es uns für \( (0, 5) \), so ist das nicht das Nullelement, aber weil für \( 0 \) in \( \mathbb R \) kein multiplikatives Inverses existiert, existiert auch für \( (0, 5) \) kein multiplikatives Inverses (die erste Komponente wird, egal, was wir dranmultiplizieren, immer \( 0 \) bleiben und damit können wir durch Multiplikation mit einem Element nie zu \( 1 = (1, 0) \) kommen). Damit genügt der erste naive Versuch einer Multiplikation nicht der Forderung, dass \( \mathbb C \) damit die Struktur eines Körpers bildet. Wir sehen schon, wir können irgendwie nicht alles ganz einfach von \( \mathbb R \) auf \( \mathbb R^2 \) übertragen (kurze Nebenbemerkung: bei der Addition geht das ganz einfach, die Definition \( (a, b) + (c, d) := (a + c, b + d) \) genügt allen Anforderungen).

Allerdings ist, und das werfe ich jetzt einfach mal so in den Raum, durch

$$ (a, b) \cdot (c, d) := (ac - bd, ad + bc) \tag*{(1)}$$

eine Multiplikation gegeben, die den Anforderungen genügt - das ist größtenteils einfaches Nachrechnen, das multiplikative Inverse zu \( (a, b) \) ist dabei die komplexe Zahl \( \left(\frac{a}{a^2+b^2}, \frac{-b}{a^2+b^2} \right) \), wovon wir uns auch ganz einfach durch die Rechnung

$$ \begin{aligned} (a, b) \cdot \left(\frac{a}{a^2+b^2}, \frac{-b}{a^2+b^2} \right) &= \left( a \cdot \frac{a}{a^2+b^2} - b \cdot \frac{-b}{a^2+b^2}, a \cdot \frac{-b}{a^2+b^2} + b \cdot \frac{a}{a^2+b^2} \right) \\ &= \left(\frac{a^2}{a^2+b^2} + \frac{b^2}{a^2+b^2}, \frac{-ab}{a^2+b^2} + \frac{ab}{a^2+b^2}\right) \\ &= \left(\frac{a^2+b^2}{a^2+b^2}, \frac{0}{a^2+b^2}\right) \\ &= (1, 0) \end{aligned} $$

überzeugen können (Achtung: Man muss hier unbedingt zwischen der Multiplikation zweier komplexer und der zweier reeller Zahlen unterscheiden. Im ersteren Fall verwenden wir die in \( (1) \) definierte Multiplikation). Wir haben jetzt einen kleinen Einblick in die komplexen Zahlen bekommen - und gesehen, dass es nicht selbstverständlich ist, dass auch im Zweidimensionalen noch die bekannten Rechengesetze gelten. Jetzt haben wir das erforderliche Wissen, um die Geschichte hinter Quaternionen zu verstehen.

Wir blicken nochmal zurück: Was haben wir bei der Konstruktion der komplexen Zahlen gemacht? Das war im Grunde genommen doch nichts anderes, als dass wir die reellen Zahlen gepackt und um eine Dimension erweitert haben - wir haben die Konzepte Addition und Multiplikation vom eindimensionalen Zahlenstrahl auf die zweidimensionale Zahlenebene verallgemeinert und es geschafft, dass die "üblichen Eigenschaften" erhalten geblieben sind. Im gleichen Zuge drängt sich dann aber natürlich die Frage auf, ob noch mehr geht. Können wir dasselbe auf \( \mathbb R^3 \), auf \( \mathbb R^4 \), vielleicht sogar auf \( \mathbb R^n \) mit \(n \in \mathbb N \) verallgemeinern? Und die überraschende Antwort ist nein. Zwar haben wir uns oben die Welt einfach so definiert, wie wir sie haben wollten und es damit geschafft, dass mit unseren Definitionen Eigenschaften wie Kommutativität, Assoziativität, etc. erhalten blieben, aber tatsächlich ist es auf Mengen \( \mathbb R^n \) mit \( n > 2 \) nicht mehr möglich, eine Addition und eine Multiplikation so zu definieren, sodass sie die üblichen Eigenschaften besitzen. Genau diese Frage hat diverse Mathematiker im 19. Jahrhundert beschäftigt, darunter auch William Rowan, der sich tage- und nächtelang den Kopf darüber zerbrach, wie man die übliche Multiplikation auf \( \mathbb R^3 \) verallgemeinern konnte. Seinen Frust und seine Verzweiflung kann man sehr gut an einem Brief von ihm an seinen Sohn herauslesen:

Every morning, on my coming down to breakfast, you asked me: “Well, Papa, can you multiply triplets?” Whereto I was always obliged to reply, with a sad shake of the head: “No, I can only add and subtract them”.

Jeden Morgen, als ich runter zum Frühstück kam, hast du mich gefragt: “Sag Papa, kannst du Tripel multiplizieren?” Worauf ich dann jedes Mal mit einem traurigen Kopfschütteln antworten musste: “Nein, nur addieren und subtrahieren”.

Jahrelang versuchte sich Hamilton an der Definition einer Multiplikation auf \( \mathbb R^3 \), aber er schaffte es einfach nicht. Irgendwann, nach zig Versuchen auf dem \( \mathbb R^3 \) ging er eine Dimension höher und betrachtete den \( \mathbb R^4 \), und nach unzähligen weiteren Versuchen gelang es ihm dann, eine Multiplikation zu definieren, die zumindest alle Eigenschaften außer der Kommutativität besaß. Der Geistesblitz ereilte ihn an der Broom Bridge in Dublin, wo er völlig perplex seinen Gedanken sofort in einen Stein ritzte:

$$\mathrm i^2 = \mathrm j^2 = \mathrm k^2 = \mathrm{ijk} = -1 \tag*{(2)}$$

Wir wollen versuchen, seine Idee nachzuvollziehen. Im Grunde macht er nichts anderes wie bei der Erweiterung der reellen auf die komplexen Zahlen: Er nimmt imaginäre Einheiten hinzu und definiert

$$ \mathrm i := (0, 1, 0, 0), \quad \mathrm j := (0, 0, 1, 0), \quad \mathrm k := (0, 0, 0, 1) $$

womit er wegen \( 1 = (1, 0, 0,  0) \) dann wieder alle Quadrupel \( (a, b, c, d) \in \mathbb R^4 \) durch

$$ (1,0,0,0)a + (0,1,0,0)b + (0,0,1,0)c + (0,0,0,1)d = a + \mathrm i b + \mathrm j c + \mathrm k d$$

beschreiben kann. Und um jetzt eine Multiplikation darauf zu definieren, müssen wir zunächst definieren, was es bedeutet, die imaginären Einheiten miteinander zu multiplizieren und genau hier kommt Hamiltons unscheinbar wirkende, aber eigentlich fundamentale Definition ins Spiel: \(\mathrm i^2 = \mathrm j^2 = \mathrm k^2 = \mathrm{ijk} = -1\).

Allein durch diese Definition ergibt sich jetzt (fast) alles automatisch, denn damit sind Produkte beliebiger imaginärer Einheiten erklärt - um zum Beispiel \( \mathrm{ij} \) zu berechnen, multiplizieren wir in \( (2) \) mit \( \mathrm k \) von rechts und erhalten:

$$ \mathrm{ij\underbrace{kk}_{-1}} = -\mathrm k \iff -\mathrm{ij} = -\mathrm{k} \iff \mathrm{ij} = \mathrm k $$

Jetzt stellt sich natürlich wiederum das Problem der Definition der allgemeinen Multiplikation: Das können wir aber ganz elegant lösen, indem wir die imaginären Einheiten einfach mal als reelle Variablen ansehen, das Produkt

$$ (a + \mathrm i b + \mathrm j c + \mathrm k d) \cdot (e + \mathrm i f + \mathrm j g + \mathrm k h) $$

berechnen und dann die verschiedenen Imaginärteile wieder vom Ergebnis ablesen. Es ergibt sich

$$ a e + a f \mathrm i + a g \mathrm j + a h \mathrm k + b e \mathrm i + b f \mathrm i^2 + b g \mathrm{i j} + b h \mathrm{i k} + c e \mathrm j + c f \mathrm{i j} + c g \mathrm j^2 + c h \mathrm{j k} + d e \mathrm k + d f \mathrm{i k} + d g \mathrm{j k} + d h \mathrm k^2 $$

und nachdem wir vorhin die Produkte der imaginären Einheiten definiert haben, können wir nach ein bisschen Vereinfachungsarbeit daraus einfach ein neues Quadrupel machen - das ist dann unser Produkt. Gleichermaßen gibt es hier wieder ein multiplikatives Inverses, nämlich für \( (a, b, c, d) \in \mathbb R^4 \)

$$ \left( \frac{a}{a^2+b^2+c^2+d^2}, \frac{-b}{a^2+b^2+c^2+d^2}, \frac{-c}{a^2+b^2+c^2+d^2}, \frac{-d}{a^2+b^2+c^2+d^2}\right) $$

was wir theoretisch wieder durch einfaches Nachrechnen bestätigen könnten. Zu Ehren von Hamilton bekam der \( \mathbb R^4 \) der Quaternionen mit der eben definierten Multiplikation und der kanonischen Addition das Symbol \( \mathbb H \).

geschlossen: Wissensartikel
von Lu
Avatar von

Auf dieselbe Weise kann man übrigens Oktonionen \( \mathbb O \) und Sedenionen \( \mathbb S \) als acht- bzw. sechzehndimensionale Zahlen definieren, wobei man bei den Oktonionen Kommutativität und Assoziativität und bei den Sedenionen Kommutativität, Assoziativität und Distributivität einbüßen muss. Das macht die Quaternionen so besonders, weil sie die Struktur ist, die dem Körper nach den komplexen Zahlen noch am nächsten kommt. Quaternionen waren Hamiltons Lebenswerk.

Noch eine kleine Anmerkung: Man mag sich berechtigterweise nach dem Sinn von solchen hyperkomplexen Zahlen fragen. Die Motivation, mehrdimensionale Strukturen zu finden, auf denen man die übliche Addition und Multiplikation definieren kann, ist sicher nicht die beste Motivation, die man einem Nicht-Mathematiker erklären kann.

Gerade Quaternionen haben aber noch eine ganz andere, mächtige Eigenschaft: Man kann mit ihnen Rotationen im Raum beschreiben. Vielleicht ist bereits bekannt, dass komplexe Zahlen sehr sinnvoll zum Beschreiben zweidimensionaler Drehungen sind, denn die Multiplikation zweier komplexer Zahlen entspricht in der Zahlenebene auch nichts Anderem als einer Drehung um den Ursprung. Ähnlich ist es auch bei Quaternionen und Drehungen um einen Vektor im Raum - wir können jeder (normierten) Quaternione eine reelle Drehmatrix zuordnen und damit jede Quaternione mit einer Drehung im Raum identifizieren. Das klingt alles sehr abstrakt, ist es sicher auch, aber je konkreter wir hier jetzt werden würden, desto komplizierter würde es auch. Daher nur diese oberflächliche Erklärung.

Und draufzukommen, wo man Drehungen im Raum braucht, ist auch nicht schwierig: Speziell bei 3D-Computerspielen bieten Quaternionen eine unglaubliche Vereinfachung, wenn es um physikalische Berechnungen von Positionen bestimmter Entitäten geht. Das hatte Hamilton damals sicher nicht so im Sinn, ist aber heute eine der wichtigsten Anwendungen der Theorie der Quaternionen.

Ein anderes Problem?

Stell deine Frage

Willkommen bei der Mathelounge! Stell deine Frage einfach und kostenlos

x
Made by a lovely community