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Anerkannte Dichter und Schriftsteller haben sich bisweilen auch zur Mathematik geäußert. Dabei ist es geradezu erstaunlich, welches schiefe Bild von der Mathematik in manchen klugen Köpfen entwickelt wurde. Beispiele liefern hier Johann Wolfgang von Goethe und August Strindberg.

Goethe schreibt: „Die Mathematik steht ganz falsch im Rufe, untrügliche Schlüsse zu liefern. Ihre ganze Sicherheit ist weiter nichts als Identität. Zwei mal zwei ist nicht vier, sondern es ist eben zwei mal zwei, und das nennen wir abkürzend vier. Vier ist aber durchaus nichts Neues. Und so geht es immer fort bei ihren Folgerungen, nur dass man in den höheren Formeln die Identität aus den Augen verliert.“

Der erste Satz Goethes trifft noch zu: „Die Mathematik steht ganz falsch im Rufe, untrügliche Schlüsse zu liefern.“ Tatsächlich glauben sehr viele Menschen, die Mathematik liefere ‚Wahrheiten an sich‘. Und das ist falsch. Die Mathematik liefert tatsächlich nur Wenn-Dann-Aussagen: ‚Wenn die Grundvoraussetzungen, die zu einer Aussage geführt haben, wahr sind und die Schlussregeln als gültig angesehen werden, dann ist die Aussage wahr.‘

Der zweite Satz „Ihre ganze Sicherheit ist weiter nichts als Identität“ enthält Zutreffendes. Die Mathematik als Ganzes ist ein Darstellungssystem, innerhalb dessen sehr oft Gleichwertiges aneinander gekettet wird, um zu einer neuen Aussage zu gelangen.

Der dritte Satz schließlich „Zwei mal zwei ist nicht vier, sondern es ist eben zwei mal zwei, und das nennen wir abkürzend vier“ wirft Zutreffendes und Unsinniges durcheinander. Goethe ignoriert, dass ‚zwei‘ nichts anderes ist, als der Nachfolger von 1, also 1+1 und dass die Operation ‚mal‘ nichts weiter bedeutet, als dass ein Faktor die Anzahl und der andere die Größe gleicher Summanden liefert, also 2·2=2+2. Insgesamt ergibt sich daher 2·2=2+2=(1+1)+(1+1)=1+1+1+1.

Die Zahlwörter stehen in einer natürlichen Reihenfolge, welche rekursiv festgelegt ist: Der Nachfolger von n ist n+1. Zwei ist der Nachfolger von Eins, Drei ist der Nachfolger von Zwei und Vier ist der Nachfolger von Drei. So kommt man schrittweise auf 2·2=2+2=((1+1)+1)+1=4.

Recht hat Goethe, wenn er sagt: „Und so geht es immer fort bei ihren Folgerungen, nur dass man in den höheren Formeln die Identität aus den Augen verliert.“ Es gibt aber auch genuin kreative Gedanken von Mathematikern. Um diese nachträglich zu untermauern, bleibt ihnen gar nichts anderes übrig, als Identitäten (besser: logisch gleichwertiges) aneinander zu ketten. Genau das ist Mathematik.


August Strindberg hat zur Mathematik diesen Beitrag geliefert:
„1·1 = 1, unzweifelhaft. Aber 12 ist nicht 1, weil das Quadrat einer gegebenen Zahl größer sein muss als die Zahl selbst. Die Wurzel aus 1 kann logischerweise nicht 1 sein, weil die Wurzel aus einer Zahl kleiner sein muss als die Zahl selbst. Aber mathematisch oder formal ist √1=1. Die Mathematik widerspricht in diesem Falle der Logik oder der reinen Vernunft, und darum ist die Mathematik in diesem Kardinalfalle vernunftwidrig. Auf dieser Sinnlosigkeit, der 1, bauen sich dann alle Werte auf, und in diesen falschen Werten fußt die mathematische Wissenschaft. Ein artiges Spiel für Leute, die nichts zu tun haben.“

Schon die Prämissen „das Quadrat einer Zahl muss größer sein, als die Zahl selbst“ und „die Wurzel einer Zahl muss kleiner sein, als die Zahl selbst“ entspringen einer Logik, die von Strindberg für vernünftig gehalten wird, ohne die eigene Vernunft zu hinterfragen. Es ist ja nicht nur die 1, die beim Quadrieren nicht größer wird, sondern alle Zahlen  von 0 bis 1 einschließlich. Überhaupt ist das k-fache einer positiven Zahl z kleiner als z für 0<k<1.

Natürlich ist die Mathematik auch „ein artiges Spiel für Leute, die nichts zu tun haben.“ Aber darüber hinaus hat sie sehr wertvolle Beiträge zur Daseinsbewältigung des Menschen auf dieser Erde geliefert. Das war zu Zeiten Goethes und wohl auch zu Zeiten Strindbergs noch nicht so  klar, wie heute. Damit sind die beiden aber nicht entschuldigt. Entschuldigt sind sie eher durch ein mögliches Trauma aus der Zeit des schulischen Mathematikunterrichtes.

geschlossen: Wissensartikel
von Roland
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Aloha :)

Ich hatte mich während des Studiums aus Versehen mal in eine Philosophie-Vorlesung verlaufen, die wegen Renovierugsarbetien im physikalischen Institut stattfand. Dort hat die Professorin 90 Minuten darüber gesprochen, warum "1+1=2" ist. Diese Formel hat sie sogar groß an die Tafel geschrieben.

Danach wusste ich, warum sich die Naturwissenschaften erst von der Philosophie trennen mussten, um wirkliche Fortschritte zu machen.

Das Problem beim Denken ist fast immer am Anfang der Folgerungskette:

Schon die Prämissen „das Quadrat einer Zahl muss größer sein, als die Zahl selbst“ und „die Wurzel einer Zahl muss kleiner sein, als die Zahl selbst“ entspringen einer Logik, die von Strindberg für vernünftig gehalten wird, ohne die eigene Vernunft zu hinterfragen.

Der Anfang ist ja schon falsch, denn \(0^2=0\). Also macht es eigentlich keinen Sinn mehr, das Gelaber danach zu lesen.

„1·1 = 1, unzweifelhaft. Aber 1² ist nicht 1,

Wieder ist das Lesen des Rests Zeitverschwendung.

@Tschakabumba: Für Dich ist die Mathematik also eine Naturwissenschaft. Danach ist für mich das Lesen Deines Kommentars reine Zeitverschwendung.

Dort hat die Professorin 90 Minuten darüber gesprochen, warum "1+1=2" ist.

@Tschaka: Nach wie vielen Semestern habt ihr in der Vorlesung vorausgesetzt, dass 1 + 1 ≠ 0 ? Man kommt relativ weit ohne diese Annahme.

@Roland: Tschaka hat die gleiche Sprache verwendet. Aber ist es nötig, dass du das auch verwendest?

@Roland:

Ich habe die Zeitverschwendung nicht auf deinen Beitrag bezogen, sondern auf Folgerungsketten, deren Startaussage schon falsch ist. Selbstverständlich habe ich mir deinen Artikel bis zum Schluss durchgelesen.

Ich habe auch nicht gesagt, dass Mathematik eine Naturwissenschaft sei. Ich habe gesagt, dass sich die Naturwissenschaften von der "Bremse" Philospohie trennen mussten, um zu wachsen. Die Mathematik ist ein überaus effizientes Hilfsmittel, um die Regeln, nach denen die Natur funktioniert, zu formulieren.

@Tschaka: Dann entschuldige ich mich in aller Form bei Dir. Ich hatte Dich wohl falsch verstanden.

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