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Die Cardanischen Formeln rühren aus Italien, wo sie 1545 von den zwei Mathematikern Tartaglio und Cardano veröffentlicht wurden. Diese hatten sich mit kubischen Gleichungen und insbes. deren Nullstellen beschäftigt und sind dabei auf ein Problem gestoßen, für dessen Lösung man allerdings einen Weg aus der Welt der reellen Zahlen heraus nehmen musste.

Aber von vorne: Fangen wir mit einer ganz allgemeinen kubischen Gleichung an: Seien \( A, B, C, D \in \mathbb R \) mit

$$ Ax^3 + Bx^2 + Cx + D = 0 \tag*{(1)}$$

dann können wir diese Gleichung zunächst normieren, d.h. den Faktor vor dem \(x^3\) eliminieren, indem wir durch \(A\) teilen (wir vereinbaren \(A \neq 0\), denn sonst wäre \((1)\) gar keine kubische Gleichung). Damit erhalten wir

$$ x^3 + \frac{B}{A} x^2 + \frac{C}{A} x + \frac{D}{A} = 0 \tag*{(2)} $$

bzw.

$$ x^3 + ax^2 + bx + c = 0, $$

wenn wir die Koeffizienten entsprechend setzen (\(a := \frac{B}{A}\), ...). Was wir jetzt tun, ist die kubische Gleichung zu reduzieren, d.h. wir wollen die kubische Gleichung in eine Form bringen, in der das \(x^2\) nicht mehr auftaucht. Dazu definieren wir \(z := x + \frac{a}{3}\), wir werden gleich sehen, was uns das bringt. Festhalten können wir jedoch: Wenn wir alle möglichen Lösungen für \(z\) kennen, kennen wir auch automatisch alle Lösungen für \(x\), denn es ist ja dann \( x = z - \frac{a}{3} \) und jede Lösung für \(z\) ist nur eine um \(\frac{a}{3}\) "verschobene" Lösung für \(x\). Setzen wir also ein:

$$ \underbrace{\left(z - \frac{a}{3}\right)^3}_{z^3 - 3 z^2 \left(\frac{a}{3}\right) + 3 \left(\frac{a}{3}\right)^2 z - \left(\frac{a}{3}\right)^3} + \underbrace{a \left(z - \frac{a}{3}\right)^2}_{az^2 - 2az \left(\frac{a}{3}\right) + a\left(\frac{a}{3}\right)^2} + \underbrace{b \left(z - \frac{a}{3}\right)}_{bz - b \frac{a}{3}} + c = 0 $$

Wer sich die Mühe macht, das alles noch zusammenzufassen, wird bei

$$ z^3 + \left(b - \frac{a^2}{3}\right) z + \left( \frac{2a^3}{27} - \frac{ab}{3} + c \right) = 0 \tag*{(3)} $$

landen und wir sehen, dass unsere Substitution sinnvoll war: Das quadratische Glied ist weg. Räumen wir wieder ein bisschen auf, setzen wir \(p := b - \frac{a^2}{3}\) und \( q := \frac{2a^3}{27} - \frac{ab}{3} + c \), bleibt

$$ z^3 + pz + q = 0 $$

übrig. Wir müssen also nur noch diese "einfachere" kubische Gleichung lösen und erhalten dann durch sukzessives Resubstituieren die Lösungen der allgemeinen kubischen Gleichung \((1)\). Damit haben wir schon mal den ersten Schritt geschafft.

Der zweite Schritt ist nicht besonders viel schwerer, aber ein wichtiger und genialer Schritt: Unser \(z\) können wir sicher als \(z = u + v\) mit irgendwelchen \(u, v \in \mathbb R\) darstellen. Dafür gibt es unendlich viele Möglichkeiten (denn wir können ja zum Beispiel das \(u\) frei wählen und das \(v\) ergibt sich dann als die noch fehlende Differenz). Daher können wir für \(u\) und \(v\) noch eine weitere Bedingung wählen (dann sind \(u\) und \(v\) eindeutig), wir fordern \(-3uv = p\) und werden gleich sehen, was uns das bringt, indem wir wieder einsetzen:

$$ \begin{aligned} \left(u + v\right)^3 + p(u+v) + q = 0 &\iff u^3 + 3u^2v + 3uv^2 + v^3 + pu + pv + q = 0 \\ &\iff u^3 + v^3 + 3uv(u + v) + p(u + v) + q = 0 \\ &\iff u^3 + v^3 + 3uv(u + v) -3uv(u + v) + q = 0 \\ &\iff u^3 + v^3 + q = 0 \\ &\iff q = -(u^3+v^3) \end{aligned}$$
Kleiner Reminder: \(p\) und \(q\) hatten wir gegeben - denn \(p\) und \(q\) ergeben sich aus \(a\), \(b\) und \(c\) aus Gleichung \((3)\) und \(a\), \(b\) und \(c\) ergeben sich aus \(A\), \(B\) und \(C\) aus Gleichung \((1)\). Und wenn wir jetzt irgendwie alle möglichen \(u\) und \(v\) bestimmen könnten, kämen wir auf alle möglichen \(z\) (wegen \(z = u + v\)) und wir haben ja vorhin gesehen, dass wir uns, wenn wir alle Lösungen für \(z\) haben, daraus auch alle Lösungen für \(x\) berechnen können.

Also fangen wir an und versuchen, \(u\) und \(v\) zu bestimmen. Wir kennen \(p\) und \(q\). Und wir haben \(u\) und \(v\) so gewählt, dass \(p = -3uv\) und \(q = -(u^3 + v^3) \) ist. Also haben wir dann doch eigentlich nur noch ein Gleichungssystem mit zwei Gleichungen und zwei Variablen \(u\) und \(v\), das wir lösen müssen:

$$ \begin{cases} -3uv = p & (*) \\ -(u^3+v^3) = q & (**)\end{cases} $$
Wir formen \((**)\) um, erhalten
$$ -(u^3+v^3) = q \implies u^6 + 2u^3 v^3 + v^6 = q^2, \tag*{(4)}$$
weiter erhalten wir mit \( (*) \)
$$ -3uv = p \iff uv = - \frac{p}{3} \iff u^3 v^3 = -\left(\frac{p}{3}\right)^3 \tag*{(5)}$$
und kommen durch \( (4) - 4 \cdot (5) \) auf
$$ u^6 - 2 u^3 v^3 + v^6 = q^2 + 4 \left(\frac{p}{3}\right)^3 \iff (u^3 - v^3)^2 = q^2 + 4 \left(\frac{p}{3}\right)^3 \iff u^3 - v^3 = \pm \sqrt{q^2 + 4 \left(\frac{p}{3}\right)^3}. \tag*{(6)}$$
Jetzt können wir durch \( (**) - (6) \) das \(v^3\) eliminieren und erhalten eine geschlossene Form für \(u\):
$$ -u^3 - v^3 = q \iff -2u^3 = q \mp \sqrt{q^2 + 4 \left(\frac{p}{3}\right)^3} \iff u^3 = \frac{q}{2} \pm \sqrt{\left(\frac{q}{2}\right)^2 +  \left(\frac{p}{3}\right)^3}$$
Genauso erhalten wir durch \( (**) + (6) \) eine geschlossene Form für \(v\)
$$ -u^3 - v^3 = q \iff -2v^3 = q \pm \sqrt{q^2 + 4 \left(\frac{p}{3}\right)^3} \iff v^3 = \frac{q}{2} \mp \sqrt{\left(\frac{q}{2}\right)^2 +  \left(\frac{p}{3}\right)^3} $$
und landen somit bei:
$$ \begin{aligned} z = u + v &= \sqrt[3]{\frac{q}{2} \pm \sqrt{\left(\frac{q}{2}\right)^2 +  \left(\frac{p}{3}\right)^3}} + \sqrt[3]{\frac{q}{2} \mp \sqrt{\left(\frac{q}{2}\right)^2 +  \left(\frac{p}{3}\right)^3}} \\ &= \sqrt[3]{\frac{q}{2} + \sqrt{\left(\frac{q}{2}\right)^2 +  \left(\frac{p}{3}\right)^3}} + \sqrt[3]{\frac{q}{2} - \sqrt{\left(\frac{q}{2}\right)^2 +  \left(\frac{p}{3}\right)^3}} \tag*{(7)} \end{aligned} $$
Und damit sind wir im Prinzip fertig - müssen uns aber noch ein paar Gedanken machen. Wir haben in Umformung \( (6) \) völlig bedenkenlos die Quadratwurzel gezogen. Das geht aber nicht immer, denn ist der Radikand negativ, ist die Wurzel im Reellen nicht definiert. Wir müssen aufpassen.

\(q\) darf sowohl positiv, als auch negativ sein, denn im Radikanden steht \(q^2\) und das ist sicher nicht-negativ. Unser Sorgenkind ist eher das \(p\). Damit unsere Umformungen im Reellen funktionieren, ist es also wichtig, dass

$$ q^2 + 4 \left(\frac{p}{3}\right)^3 \geq 0 \iff \left(\frac{q}{2}\right)^2 +  \left(\frac{p}{3}\right)^3 \geq 0.$$

Wir nennen \( \Delta := \left(\frac{q}{2}\right)^2 +  \left(\frac{p}{3}\right)^3 \) die Diskriminante (denn genauso wie bei quadratischen Gleichungen hängt hier von \(\Delta\) die Anzahl der reellen Lösungen ab) und müssen uns also noch um den Fall \( \Delta < 0 \) kümmern, denn dafür funktioniert unsere Lösungsformel im Reellen nicht. Man kann allerdings leicht zeigen, dass es in diesem Fall mindestens eine reelle Lösung geben muss (tatsächlich gibt es sogar 3 reelle Lösungen). Huh? Und genau hier kommen die komplexen Zahlen ins Spiel.

Bevor wir jetzt irgendwie formal komplexe Zahlen definieren, machen wir es intuitiv, das reicht hier: Wir definieren uns eine Zahl \( \mathrm i \) als die Wurzel von \( -1 \), d.h. wir setzen \( \mathrm i := \sqrt{-1} \). Damit können wir Wurzeln aus negativen Zahlen ganz einfach berechnen, denn ist \( r \in \mathbb R_> \) positiv, dann ist
$$ \sqrt{-r} = \mathrm i \sqrt{r} $$
und wir sehen, dass wir mit dieser einfachen "Definition" einer neuen Zahl ein System geschaffen haben, in dem wir Wurzeln aus negativen Zahlen ziehen können. Was das nun für ein System ist und wie wir das formal aufziehen würden, stehe hier mal auf einem anderen Blatt. Aber das allerwichtigste: Rechnen wir in diesem System der komplexen Zahlen, ist die dritte Wurzel (und allgemein jede \(n\)-te Wurzel) nicht mehr eindeutig (das stimmt so eigentlich nicht - die \(n\)-te Wurzel etwa ist eindeutig, aber es gibt mehr als eine Zahl, die mit \(n\) potenziert den Radikanden ergibt, aber das soll uns hier nicht weiter stören und wir tun so, als hätte die Wurzel mehrere Lösungen). Für die Quadratwurzel kennen wir das schon aus den reellen Zahlen: Ist \(a = \sqrt{r}\), also \(a^2 = r\), dann ist auch \((-a)^2 = r\) - es gibt also immer eine positive und eine negative Zahl, die im Quadrat den Radikanden \(r\) ergibt. Im Komplexen gilt aber nun auch, dass es drei Zahlen für die Kubikwurzel gibt: Ist \(w = \sqrt[3]{c}\), also \(w^3 = c\), dann ist auch
$$ \left(w \cdot \left(-\frac{1}{2} \pm \mathrm i \frac{\sqrt{3}}{2} \right) \right)^3 = c $$
denn
$$\left(-\frac{1}{2} \pm \mathrm i \frac{\sqrt{3}}{2} \right)^3 = 1 $$
was sich durch stupides Ausmultiplizieren bestätigt. Damit gibt es in Gleichung \( (7) \) für \(u\) und \(v\) jeweils drei mögliche Werte also scheint es, dass wir immer 9 Lösungen für die kubische Gleichung erhalten? Fast. Tatsächlich sind es nur drei Lösungen, denn wir hatten am Anfang \( -3uv = p \) gefordert und wegen
\( \left(-\frac{1}{2} + \mathrm i \frac{\sqrt{3}}{2} \right) \left(-\frac{1}{2} - \mathrm i \frac{\sqrt{3}}{2} \right) = 1 \)
gibt es nur neben der einen reellen (mindestens eine reelle Lösung gibt es immer) nur noch zwei komplexe Lösungen, nämlich genau die mit unterschiedlichen Vorzeichen: Ist \(z_1 = u_1 + v_1\) eine reelle Lösung (mindestens eine reelle Lösung gibt es immer), dann sind mit
$$ u_2 = u_1 \left(-\frac{1}{2} + \mathrm i \frac{\sqrt{3}}{2}\right), v_2 = v_1 \left(-\frac{1}{2} - \mathrm i \frac{\sqrt{3}}{2}\right)  $$
und
$$u_3 = u_1 \left(-\frac{1}{2} - \mathrm i \frac{\sqrt{3}}{2}\right), v_3 = v_1 \left(-\frac{1}{2} + \mathrm i \frac{\sqrt{3}}{2}\right)$$
die beiden anderen Lösungen \(z_2 = u_2 + v_2\) und \(z_3 = u_3 + v_3\) gegeben. Gut, mag man sich sagen - jetzt gibt es in einem imaginär schwer vorstellbaren Zahlensystem noch zwei weitere Lösungen, abhängig von einer ominösen Konstante \( \mathrm i \). Aber tatsächlich kann man zeigen, dass in dem hier betrachteten Fall \( \Delta < 0 \) auch \( z_2 \) und \( z_3 \) reell sind! (Denn wegen \( \mathrm i^2 = -1 \) heben sich die \(\mathrm i\)'s gegenseitig weg.) Wir haben also einen Umweg über komplexe Zahlen und Wurzeln aus negativen Zahlen machen müssen, aber landen trotzdem am Ende wieder in bekanntem Terrain, den reellen Zahlen! Das gab Anlass, sich die hier erschaffenen Konstrukte mal genauer anzusehen und zu formalisieren: Die komplexen Zahlen waren geboren.

Formal definiert man die komplexen Zahlen \( \mathbb C \) einfach als kartesisches Produkt von \(\mathbb R \) mit sich selbst, \(\mathbb C := \mathbb R \times \mathbb R \). Intuitiv ist dabei die erste Komponente der Real- und die zweite der Imaginärteil der komplexen Zahl und wir identifizieren die reellen Zahlen einfach mit den Zahlen, deren zweite Komponente null ist, ist also \( r \in \mathbb R \), so entspricht das einfach der komplexen Zahl \((r, 0)\). Damit können wir jede komplexe Zahl \((a, b) \in \mathbb C\) auch als Linearkombination
$$ (a, b) = a \cdot (1, 0) + b \cdot (0, 1)  $$
ausdrücken und setzen wir dann noch \( \mathrm i := (0, 1) \in \mathbb C \), ergibt sich wegen \( \mathbb R \ni 1 \mapsto (1, 0) \in \mathbb C \) die bekannte kartesische Darstellung \(a + b \mathrm i \) einer komplexen Zahl.

Großartig mehr darf ich jetzt wegen des Zeichenlimits leider nicht mehr von mir geben :-)

geschlossen: Wissensartikel
von Lu
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Ein guter Aufsatz. Unter der Überschrift: "Was wirklich zu den komplexen Zahlen geführt hat" hätte ich wenigstens eine kleinen Hinweis auf Rafael Bombelli und seinen "wilden Gedanken" erwartet. Aber trotzdem: Gut geschrieben.

Sehr schöner Artikel.

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